Duzen auf Twitter – über Normen im Netz

#gernperdu steht in meiner Twitter-Bio. Damit meine ich: Ich werde gern geduzt und duze gern. Duzen halte ich für die angebrachte Norm im Netz. Bei der deutschsprachigen Wikipedia heißt es dazu:

Das Duzen in der Wikipedia ist auch im Zusammenhang mit der Entwicklung der Netiquette im deutschsprachigen Raum zu sehen. Bereits im Usenet, das vor dem World Wide Web entstand, sowie in Diskussionsforen von Online-Diensten und Mailboxes war und ist es üblich, dass sich die Kommunikationsteilnehmer duzen. Dies mag auch damit zusammenhängen, dass das Internet zuerst an Universitäten verfügbar war, bevor es in jedem Haushalt ankam, sodass dort am Anfang viele – ungefähr gleichaltrige – Studenten unterwegs waren. In vielen deutschsprachigen Online-Foren kommt das Siezen hauptsächlich als Ausdruck einer deutlichen, schroffen Distanzierung vom Diskussionspartner vor.

Warum sich hier alle duzen, Wikipedia

Der Artikel verweist auf die universitäre Tradition, dass sich Studierende (und der Mittelbau duzen). Die Netzkultur – wo oft auch einfach »Profile« aufeinandertreffen, bei denen nicht klar ist, wer sich dahinter verbirgt – ist nicht völlig getrennt von Interaktionsformen zwischen Menschen, die sich als Personen wahrnehmen.

Ich selber lebe in Zürich. Duzkultur ist in der Schweiz stärker verbreitet als in Deutschland, gerade im urbanen Raum. Kinder lernen teilweise erst in der zweiten oder dritten Klasse, dass die Lehrer*innen siezen sollten – weil sie sonst gar keine Menschen kennen, mit denen sie oder ihre Eltern per Sie wären. Ich sieze per Default Schüler*innen – eine Regel an Kurzzeitgymnasien (letzte vier Jahre vor Matur), ihre Eltern sowie mir hierarchisch klar übergeordnete oder deutlich ältere Personen.

Duzen ist mir also als Element der Netzkultur wie auch im sozialen Umgang mit Mitmenschen sehr vertraut, ich habe mich daran gewöhnt. So stark, dass mir Siezen nicht mehr als eine Form von Respekt erscheint, sondern – wie im Wikipedia-Zitat erwähnt, als Zeichen einer »schroffen Distanzierung«.

Auf Twitter treffe ich nun auf Profile, hinter denen möglicherweise Menschen stehen, die das anders wahrnehmen. Die mich siezen, es aber gar nicht als Distanzierung meinen – und von mir auch gesiezt werden möchten. Gleichzeitig gibt es auch Profile, die aushandeln wollen, welche Norm sich durchsetzt: Die von mir ein Zugeständnis möchten, dass siezen korrekt ist und ich sie auch dann siezen muss, wenn mir das weder angebracht noch sinnvoll erscheint. Sie setzen siezen passiv-aggressiv ein und nutzen die unterschiedlichen Normen, um auch auf einer Meta-Ebene eine konfrontative Diskussion führen zu können.

Ich meine mein Duzen als freundliche Geste in der Netzkultur, als Bereitschaft, allen auf Augenhöhe zu begegnen. Das versuche ich durchzuziehen – aber es gelingt mir nicht immer. Erstaunlich ist das nicht: Netzkommunikation erschöpft sich oft darin, zwischen sich fremden Menschen Normen auszuhandeln.

3 Kommentare

  1. Manuel sagt:

    Mit Duzen im Internet habe ich keine Probleme, auch nicht über Altersgrenzen hinweg. Unsicher werde ich aber, wenn ich Personen, mit denen ich online kommuniziert habe, persönlich treffe. Duzt man die dann auch?

    Ist es an Schulen eigentlich Vorschrift, dass die Lehrer mit den Schülern nicht per Du sein dürfen? Wir wurden am Gymnasium mit „Vorname“ + „Sie“ angesprochen und haben den Lehrer mit „Nachname“ + „Sie“ angesprochen. Ein Lehrer hat uns am Anfang des zweiten Schuljahres das „Du“ angeboten. Er war nicht viel älter als wir. Es war nie ein Problem bezüglich Autorität, aber gerüchteweise sei er vom Rektor dafür kritisiert worden.

  2. Kathrin Kanski sagt:

    Du sprichst mir aus dem Herzen. Ich wünsche mir diese Kultur hier in Deutschland ebenso. Wird schon.

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