»zu großzügiger Einkauf von Technik« – ein paar Grundprobleme von Informatik und Schule

Im Interview mit »Der Bund« (kein Link, da leider Paywall) äußert sich der ETH-Professor Juraj Hromkovic mit prägnanten Thesen zur Arbeit mit digitalen Geräten in der Schule:

  1. »Primarschulkinder in der Stadt Bern benutzen je zu zweit oder zu viert ein Tablet, in der Oberstufe erhalten die Schülerinnen und Schüler ein persönliches Gerät.
    Ich finde das zu viel. Ein Computerzimmer oder mobile Laptops reichen oft aus.«
  2. »In den Berner Schulen werden die iPads nicht nur in «Medien und Informatik» verwendet, sondern auch in allen anderen Fächern.
    Das finde ich nicht gut. Experten der Pädagogik und Didaktik warnen vor dem dauerhaften Einsatz solcher Geräte. Eine zu hohe Gerätepräsenz kann sogar kontraproduktiv sein, indem sie die Kinder ablenkt, ihre Konzentration beeinträchtigt oder gar eine Unterentwicklung im emotionalen und sozialen Bereich verursacht.«
  3. »Man sollte also «Medien und Informatik» nicht zu einem Fach kombinieren?
    Nein. Denn in vielen Lehrmitteln für das neue Fach werden nur konzeptlos ein paar informatische Themen eingestreut.«
  4. »Was in den Schulen bislang unterrichtet wurde, hat mit Informatik so viel zu tun wie Autofahren mit Maschinenbau. Es ist höchste Zeit, die mehr als 20 Jahre lange Fehlentwicklung der Informatikbildung in der Schweiz zu korrigieren.«

Hintergrund des Themas ist der Entscheid der Stadt Bern, auf Open-Source-Lösungen zu setzen. Bei der Umsetzung dieser Strategie ist es zu Beginn des aktuellen Schuljahres zu massiven Problemen gekommen (Bericht »Schweiz aktuell«).

Hromkovic versucht nun die aus Informatik-Sicht richtige Strategie zu verteidigen, indem der die Gerätenutzung auf ein Kernfach Informatik einschränken möchte – und diesem Fach viel Gewicht geben möchte. Er hat recht damit, dass bisher unter dem Label »Informatik« an Schulen oft Software-Anwendung unterrichtet wurde. Das hängt, wie er im Interview ausführt, auch damit zusammen, dass an Pädagogischen Hochschulen Informatik kaum unterrichtet wurde und folglich keine ausgebildeten Lehrpersonen an Schulen waren, die ein vertieftes Verständnis von Informatik einbringen konnten.

Diese legitime Forderung ist einerseits diskussionsbedürftig, andererseits im Interview mit Aspekten vermischt, die Hromkovic falsch beurteilt. Fachpersonen schätzen ihr Fach immer als besonders bedeutsam ein. Kinder sollten viel früher Geschichte lernen, weil das Verständnis historischer Prozesse ein Schlüssel zu vielen anderen Wissensbereichen darstellt. Sie sollten mehr Zeit für kreative Arbeit haben, weil in Zukunft Kreativität bedeutsam sein wird. Sie sollten mehr Mathematik machen, weil sie abstraktes Denken und Problemlösekompetenzen fordern. Kinder sollten sich immersiv mit Sprache auseinandersetzen, was viel Zeit beansprucht, aber wichtig ist, weil in jungen Jahren Sprachen viel besser gelernt werden können. Naturwissenschaften, Ethik, Wirtschaft, Medienkompetenz etc. – man könnte die Liste von Fächern, die mit gutem Recht mehr Zeit beanspruchen, beliebig verlängern. Schule ist und bleibt ein Kompromiss.

Es ist sicher richtig, Lehrpersonen in Informatik auszubilden. Weshalb diese Ausbildung aber nicht mit einem Fokus auf Medienkompetenz verbunden werden kann und weshalb Anwendungskompetenzen nicht in anderen Fächern systematisch geschult werden sollen – darauf bleibt Hromkovic eine Antwort schuldig. Kinder mit persönlichen Geräten auszustatten ist absolute der richtige Weg. Das Französischlehrmittel »Dis Donc!« ist darauf ausgelegt, dass Kinder Vokabeln etwa digital anhören und individualisiert mit Quizlet lernen können. Hier eine »Unterentwicklung im emotionalen oder sozialen Bereich« anzuführen, ist unwissenschaftlich und unnötig polemisch.

Lehrmittel werden erst dann digital vorliegen, wenn alle Schülerinnen und alle Schüler auf ein eigenes Gerät zugreifen können. Das muss der Standard sein. So theoretisch geglückt der Entscheid der Stadt Bern sein mag, auf Open Source zu setzen, so praktisch ist der Entscheid der Stadt Zürich, auf Microsoft und Acer-Geräte zu setzen, die professionell gewartet und repariert werden. Lehrpersonen wie Lernende können sich in Zürich darauf verlassen, ein funktionierendes Gerät zuhause wie auch in der Schule verwenden zu können. Das ist der Standard, an dem sich andere Gemeinden orientieren sollten. Schaffen sie es nicht, ihn auf ihren eigenen Wegen zu replizieren, dann könnten sie den Weg, den Zürich eingeschlagen hat, einfach übernehmen.

Klar: Das kostet Geld. Aber nicht mehr, als sich Schweizer Gemeinden leisten können.

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