KI im Schulzimmer – zwei Thesen

Das Thema taucht an jeder Bildungsveranstaltung zur Digitalisierung auf: »Und, wie stehst du zu KI?«

KI, also künstliche Intelligenz, ist schon begrifflich ein schwieriges Thema: Es ist unklar, ob wir es bei Maschinen wirklich mit »intelligenten« Systemen zu tun haben. Mehr noch: Die Zuschreibung von Intelligenz ist ein Werturteil, wie tante gezeigt hat:

When we assign the term “intelligence” to systems of automation or computerized systems we give these systems agency – that means the right to decide.

Die Verwendung des Begriffs KI alleine impliziert, dass automatisierte Entscheidungsprozesse legitim sind – im Schulzimmer, in der Rechtssprechung, in der Medizin. Das alleine würde eine längere Diskussion rechtfertigen.

Meine Schwierigkeiten mit der Frage hängen aber auch damit zusammen, dass ich kaum KI-Anwendungen kenne, die für die Schulen, an denen ich arbeite, relevant wären. Nehmen wir Textkompetenz. Das im Moment eleganteste Tool ist Duden Mentor: Was es kann, ist ein einfaches Feedback in Bezug auf orthographische Fehler, lange Sätze oder Wortwiederholungen geben. Es passt sich weder an meinen Schreibstil an noch versteht es, was ich genau aufschreibe und wer das verstehen soll.

In einem Gespräch mit Jöran zum Thema meinte dieser aber kürzlich, dass gerade dieses einfache, sture, systematische Feedback oft mehr bewirke als die Inputs von Lehrpersonen. Das wäre also eine erste These:

KI in Schulzimmer wird für Lernende einfache, aber konstante und systematische Feedbackprozesse mit sich bringen.

Wie stelle ich mir das konkret für den Deutschunterricht vor? Ungefähr so wie Screen Time bzw. Bildschirmzeit in iOS:

IMG_8401.jpeg

Als Schülerin oder Schüler erfahre ich nach jeder Stunde (oder nach jedem Tag) kurz, was ich gemacht habe. Ich kann Ziele setzen und überprüfen, ob ich die erreicht habe. Das System wirkt aber nicht besonders intelligent auf mich, es ist eher sehr konsequent.

Das bedeutet aber selbstverständlich, dass solche Systeme auf Daten zurückgreifen können. In chinesischen Schulzimmern, wo ein großer Menschenversuch in Bezug auf den Einsatz von KI in Bildungsprozessen läuft, werden Gesichter vermessen, die Aktivität und die Emotionen von Lernenden sind so für das System zugänglich:

Bildergebnis für ai chinese classrooms
AI erfasst Emotionen aus Gesichtsausdrücken, Beispiel aus China

Aus diesen umfassenden Datensätzen könnte man eine zweite Funktion von KI ableiten: Hinweise auf mögliche Verhaltensänderungen. Eine entsprechende These lautet:

KI in der Bildung kann Lehrenden und Lernenden Hinweise geben, wie sie wirksamer arbeiten und ihre Wahrnehmung schärfen könnten.

Wie stelle ich mir das vor? Am Ende einer Woche erhalte ich vom System drei Tipps, was ich nächste Woche als Lehrer beobachten könnte, z.B.

  1. Suche das Gespräch mit Melanie, ihre Lernaktivität schein nachgelassen zu haben.
  2. Wende dich auch den hinteren Reihen zu, sie hören dich schlecht.
  3. Du hast viel für die langsameren Schülerinnen und Schüler erklärt – achte darauf, auch denen Feedback zu geben, welche schnell arbeiten.

Hier ist die umfassende (aber auch selektive) Wahrnehmung des automatisierten System ein Vorteil. Menschliche Verzerrungen könnten korrigiert werden.

Die beiden Thesen beziehen sich auf wünschbare Fälle. Sie lassen Szenarien außer acht, die ebenfalls denkbar sind: Eine umfassende Kontrolle und einfache behavioristische Impulse, die wünschbares Verhalten belohnen, unerwünschtes Bestrafen. Diese Formulierung zur Entwicklung in China liest sich dystopisch:

China is currently training its neural network grading system in a central server that compiles the work of millions of students. As well as promising a potential way to take out the variations attributed by human subjectivity in marking, this system undoubtedly offers the central government a remarkable ability to track the progress of all students in the country, in real time.

Wie stehe ich also zur KI in der Bildung?

  1. Welche KI?
  2. Das ist keine künstliche Intelligenz, sondern nur das automatisierte Erkennen von Mustern.
  3. Diese ist gut, wenn Menschen die Auswahl über die verarbeiteten Daten selber treffen und davon ausgehend Entscheidungen fällen, mit denen sie ihr Verhalten autonom verändern können.
  4. Und weniger gut, wenn es sich um einen Kontrollmechanismus handelt.

Edit: Präzisierung nach diesem Feedback

2 Kommentare

  1. Remo sagt:

    KI ist auf jeden Fall ein interessantes Thema.

    Man wird sehen, wohin es in der Zukunft geht.

    Manchmal sollte man Zukunfsfilme (Scifi-Filme) ansehen, dann kann man sich manches vorstellen.

    Zum Beispiel bei den automatisierten „Universalübersetzern“, die es in vielen solchen Filmen gibt, ist festzustellen, daß wir dort sicherlich bald soweit sind.

    Ich kann schon heute dank Übersetzungsdiensten Konversationen per Mail führen mit Leuten, die weder meine Sprache können noch ich die ihre. Natürlich sind die automatisierten Übersetzungen noch fehlerhaft, aber es wird ständig optimiert.

    Und sogar Gespräche sind möglich.
    Ich lag im Spital unfreiwillig (http://domleschger-zeitung.ch/muss-cazis-weit-ueber-100-000-franken-zahlen/) und neben mir wurde im Zimmer ein Mann aus Lausanne eingeliefert, ein Radrennsportler, der in den bündner Bergen trainiert hatte und von einem Auto, das eine Kurve geschnitten hatte, erfaßt worden war.

    Er sprach in Französisch Sachen in sein Smartfon und das Gerät spuckte das, was er mir sagen wollte auf Deutsch wieder aus. Ich wußte zwar, daß es sowas gibt, aber man kann sich nicht mit allen neuen Dingen befassen. Auf jeden Fall faszinierend.
    Die Technik schreitet hier so schnell voran, daß man gar nicht mitkommt und die Zeit findet, sich mit all den neuen Funktionen zu befassen.
    Das ist natürlich noch je nach Ansicht weit entfernt von „richtiger“ KI, aber es zeigt, wie selbst solche Dinge schon den Alltag ändern können.

    Und es stellt sich die obgenannte Frage 1), „Welche KI“ und man kann die Auffassung unter Punkt 2) vertreten: „Das ist keine künstliche Intelligenz, sondern nur das automatisierte Erkennen von Mustern.“

    Man nehme nur als Lehrer die Situation, daß – wie in Deutschland aktuell vielfach der Fall – man einen oder mehrere / viele Schüler bekommt, welche überhaupt kein Wort Deutsch können. Hier kann so eine Funktion schon absolut helfen.

  2. Christian sagt:

    „4. Und weniger gut, wenn es sich um einen Kontrollmechanismus handelt.“

    (KI-)Systeme, die messen und ein Feedback ermöglichen, sind doch immer Kontrollsysteme. Mit Foucault lässt sich behaupten, dass solche Systeme einen disziplinierenden Charakter auf den/die Vermesste/n haben, egal ob die gemessenen Daten dann auch wirklich benutzt werden.
    In diesem Sinne würde ich Punkt 4 umformulieren: Die Kontrollmöglichkeiten sollten den Kontrollierten zur Verfügung gestellt werden – und nicht nur den Kontrolleuren.
    Das ist zwar immer noch Disziplinierung, aber immerhin Selbstdisziplinierung. Das allerdings hast du bereits unter Punkt 3 ausgesagt.

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