Wie die Plattformen den Rickroll verunmöglichen – und wie wir ihn zurückbringen können

Rickrolling ist der Prototyp eines Internet-Streiches, eines Hoaxes. Er funktioniert so: In einer Diskussion auf einem Forum oder in einer Nachricht wird ein bestimmter Inhalt angekündigt und ein Link dazu verschickt. Der Link ruft aber nicht den erwarteten Beitrag auf – sondern das auf Youtube verfügbare Musikvideo zu Rick Astleys »Never Gonna Give You Up« von 1987.

Der Streich entstand 2007 auf 4chan, einem berüchtigten regellosem Forum. Zu dieser Zeit reichte es, den Link mit einem Link-Shortener leicht zu modifizieren:

https://bitly.com/98K8eH

führt etwa zum entsprechenden Video.

Der Rickroll steht stellvertretend für eine Vermischung von Netz-, Pop- und Alltagskultur, die das Aufkommen des Web 2.0 nach sich gezogen hat. Astley und das Video stehen für Popmusik und Musikfernsehen, die sich durch das Netz dramatisch verändert haben. Der Rickroll-Link ist also zunächst ein Verweis auf eine überholte Phase der Kulturproduktion, eine Art Rauswurf aus dem Kontext, in dem der Link verschickt wird. Sehr oft wurden Rickrolls eingesetzt, wenn etwas Neues, noch nie Gesehenes angekündigt wurde: Der erste bekannte Rickroll sollte 2007 zu einem Preview für GTA IV führen, also etwas zeigen, was kulturell noch in der Zukunft lag – führte aber zurück in die noch erinnerbare kulturelle Vergangenheit.

Wie die Übersicht von KnowYourMeme zeigt, gibt es eine ganze Reihe bekannter Rickroll-Hoaxes in Institutionen, die nicht direkt mit der Kultur der Digitalität verbunden sind. 2010 haben etwa Abgeordnete im US-Bundesstaat Oregon in verschiedenen Reden einzelne Liedzeilen aus »Never Gonna Give You Up« untergebracht, die später zusammengeschnitten wurden.

Mit dem Rickroll hat ein Netzstreich den digitalen Dualismus überwunden, also vorgeführt, dass es nicht unterschiedliche Kultur- und Kommunikationsformen im Netz und außerhalb davon gibt, sondern dass das Netz Teil eines umfassenden kulturellen und kommunikativen Wandels ist.

Der Rickroll schlägt noch eine dritte Brücke: zwischen dem HTML-Link, der zentralen Funktion der Netzkultur, und Youtube, einer der ersten Plattformen im Netz. Der Link steht für das offene, freie Netz: Er ermöglicht, von einem Text auf einen anderen zu verweisen. Youtube steht für Plattformen, die beschränkt offen sind und als geschlossenes Ökosystem primär auf andere Inhalte innerhalb der Plattform verweisen.

In Rickrolls verbinden sich also die kulturelle Vergangenheit mit der Zukunft, Online- und Offline-Kultur sowie was freie und das geschlossene Netz.

Oder genauer: Sie haben sich darin verbunden. Rickrolls funktionieren heute nicht mehr. Das hat zwei Gründe: Vorschaufunktionen und Werbung.

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In diesem Twitter-Beispiel sieht man deutlich, dass Axel Krommer zwar versucht, mir einen Rickroll-Link zu schicken, dieser aber sofort als Vorschau geöffnet wird, so dass die Differenz zwischen Link-Erwartung und tatsächlichem Link-Ziel gar nicht mehr besteht. In der nicht-ausgeklappten Ansicht von Twitter wird deutlich, wie der Link ohne Vorschau aussehen würde:

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Die Vorschaufunktion ist Teil einer Entwicklung, bei der Plattformen Links prüfen, klassifizieren und den entsprechenden Inhalten eine Form geben, die dazu verleitet, die Plattform gar nicht mehr zu verlassen, sondern in diesem Beispiel das Video direkt auf der Plattform selbst abzuspielen. Die Möglichkeit, mit einem Link den aktuellen Kontext zu verlassen, wird so beschränkt; von einem Tweet oder Facebook-Post aus kann nicht mehr auf einen anderen Text im Netz verwiesen werden, vielmehr wird dieser Text, sofern er den Voraussetzungen der Plattform entspricht, darin eingebettet.

Symptomatisch für diese Entwicklung ist die Beschränkung von Instagram, das Links nur in den Profilbeschreibungen zulässt, nicht aber in Kommentaren oder Texten zu einzelnen Posts.

Das Beispiel von Sandro Bucher zeigt das zweite Problem: Google hat sogenannte Pre-Roll-Werbung vor Youtube-Videos geschaltet. Das bedeutet, dass der Song von Astley nicht direkt aufgerufen werden kann, der Klick auf den Link vielmehr zu einem Werbespot führt (der personalisiert ausgespielt wird, also von User zu Userin unterschiedlich aussieht).

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Die Interpretation dieser Entwicklung ist nicht schwierig: Die Web-Kultur wird komplett von Werbung überlagert – vor, über, hinter und neben Inhalten im Netz wird Werbung eingeblendet.

Was müssen wir tun, um den Rickroll zurückbringen zu können?

  1. Einen Link erzeugen, der kein Vorschaubild abruft.
  2. Das Video so abspielen, dass keine Werbung eingeblendet wird.

Technisch ist das nicht nur möglich – es wurde auch schon gemacht: Auf https://www.latlmes.com kann sogar vorgegeben werden, hinter dem Link verberge sich eine relevante News-Story und führt die Gerickrollten dann auf eine Seite mit einem Slogan: »You Got Rick Rolled in 2018«.

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Dieser Slogan ist symptomatisch: Der ehemals direkte Hoax ist nicht mehr möglich, er ist nur noch als eine nostalgische Sehnsucht zitierbar, er führt auf eine neu erstellte Plattform, die Youtube genau so einbettet wie Facebook oder Twitter das tun.

Die Geschichte des Rickrolls erzählt von der Entwicklung der Netzkultur in den letzten Jahren. Sie verweist auf das omnipräsente Geschäftsmodell, Kultur und Kommunikation zu verwerten, indem Werbung eingeblendet wird und Nutzerinnen und Nutzern auf Plattformen festgehalten werden. Erstaunlich ist es nicht, dass so ein harmloser Scherz verunmöglicht wird. Aber noch vielsagend: Menschliches ist auf den Netzplattformen nur noch vorgesehen, wenn es den Geschäftsvorstellungen der großen Unternehmen entspricht.

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