»Die Wahrheit ins Netz zurückbringen« – über zeitgemäße Workshops

Gestern habe ich in Zürich einen Workshop abgehalten, in dem es um das Thema meines Buches ging: Wie gehen wir mit Nonsens im Netz um?

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Was heißt das überhaupt, »Nonsens im Netz«? Dazu gleich mehr – zunächst geht es darum, das Format überhaupt zu klären. Was ist ein Workshop?

Folgende Punkte scheinen mir klar:

  1. Es ist kein Vortrag mit Fragen.
  2. Die Anwesenden machen alle etwas.
  3. Verschiedene Perspektiven oder Zugänge sind denkbar und werden sichtbar.
  4. »accountable talk« – wer spricht, respektiert die anderen, die Sache, sich selbst und den Rahmen.
  5. Der Rahmen besteht aus einem Zeitpunkt, einem Thema und einer Möglichkeit, sich zu finden (und auch wieder wegzugehen, Gesetz der zwei Füße).
  6. An Workshops nehmen Menschen freiwillig teil.

Folgende Punkte scheinen mir unklar:

  • Wie viel Hierarchie erträgt ein Workshop?
  • Kann ein Workshop im Netz und in einem physischen Raum gleichzeitig stattfinden?

Gestern habe ich dazu experimentiert. Den Verlauf beschreibe ich aus meiner Sicht kurz:

Die Idee für den Workshop entstand in der Vorbereitung durch drei Anlässe: Die Verantwortlichen bei »Karl der Grosse« arbeiten mit aktiven Formaten und Debatten. Sie wünschten von Anfang an etwas anderes als einen Vortrag. Zweitens bin ich oft auf Tagungen, wo Workshops zu Mini-Referaten werden. Die Teilnehmenden sagen, sie hören gerne zu; die Verantwortlichen haben viel Erfahrung und Wissen und erzählen davon. Der Vortrag entsteht quasi automatisch. Drittens ist mein Buch ein praktisches: Es stellt primär die Frage nach dem Umgang mit Nonsens. Diese Praxis wollte ich zeigen und gemeinsam bestreiten.

Nun zum Ablauf:

Ich habe gestern Morgen auf Facebook einen Thread eröffnet, in dem es ums Thema (eigentlich nur den Titel ging). Die Diskussion dazu läuft noch, hier erreicht man sie: phwa.ch/mitmachen

Zwei wichtige Inputs habe ich dadurch erhalten und verarbeitet:

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Der erste Beitrag hat dazu geführt, dass ich das Selbstvertrauen überhaupt nicht mehr hatte, zu sagen, was ich mit dem Untertitel »Die Wahrheit ins Netz zurückbringen« meinte, sondern am Anfang einfach mal zugehört habe, wie die Anwesenden den Satz lesen und verstehen (zugehört habe ich auch in der Netzdiskussion). Recht lange habe ich nichts gesagt, bis ich dann dazu aufgefordert wurde.

Der zweite Beitrag betrifft ein grundsätzliches Problem des Workshops: Einerseits gibt es eine Themenvorgabe und eine bestimmte Verantwortung, andererseits wird das Thema auch durch Kritik bekräftigt: Das Format führt dazu, das Thema als wichtiges zu markieren – egal wie die Veranstaltung verläuft (außer, es kommt niemand oder niemand sagt etwas).

Gleichwohl hat eine Teilnehmerin mir deutlich gemacht, dass sie die ganze Diskussion und meine Aktivitäten im Netz als bedeutungslos und irrelevant erachte, sie würden mich nur von meinen echten Bedürfnissen und dem, was in der Welt wichtig sei, ablenken. Dieser Einwand erhielt aus meiner Sicht genügend Raum, auch wenn er mich nicht überzeugt hat.

Danach habe ich Thesen aus dem Buch präsentiert und wir haben fünf unterschiedliche Beispiele diskutiert und erörtert, was eine sinnvolle, konstruktive Reaktion darauf wäre. Ich habe auch erklärt, weshalb ich den Begriff Nonsens gewählt habe und was ich damit meine.

Bildschirmfoto 2018-05-18 um 12.14.58.pngZwei Tendenzen versammelten mehrere Anwesende hinter sich: Beiträge zu ignorieren oder zu filtern, die Nonsens enthalten. Oder direkte Gespräche mit anderen Personen zu suchen, ihnen beim Bier oder am Telefon zu erklären, weshalb man eine kritische Haltung einnimmt und ihre Perspektive zu hören.

Meine Haltung ist oft eine andere: Aus meiner Sicht vergisst man die Mitlesenden und zerstört Kontexte, wenn man den Kanal wechselt und auf der Hinterbühne Dinge bespricht, die dann nicht wieder in die Netzdiskussion einfließen. Die andere Person ernst zu nehmen, bedeutet auch, das Medium ernstzunehmen, das sie gewählt hat (der Relativsatz ist doppeldeutig).

Der Einstieg in den Workshop, bei dem alle Anwesenden ihre Sicht geäußert haben, führte dazu, dass der Abend bis auf einen kleinen Input zu Buch aus Gesprächen bestand, in denen es Perspektiven gab, keine richtige oder falsche Sicht. Wir sind daran gescheitert, direkt etwas ins Netz zu schreiben. Aber wir waren einverstanden, damit nicht fertig zu werden.

Ideal wäre für mich gewesen, wenn die FB-Diskussion und der Workshop im Karl verbunden wären und keine Trennung stattfindet, sondern eine Überlagerung von Netz- und Präsenzdiskussion. Doch die Diskussionen fasern aus: Viele Anwesende sehen nur einen Teil der Diskussion, vertreten nur eine Position. An einem Abend an einem Ort und gleichzeitig im Netz (oder umgekehrt zu sein) – das ist für viele zu viel.

Im Nachgang gibt es dann den Vorwurf des fehlenden Gleichgewichts, des Workshops als Marketing. Ich hätte die Diskussion im Netz nur benutzt – für Marketing oder Buchverkäufe. Auch hier sehe ich das anders: Die Diskussion im Netz ist der eigentliche Workshop. Der physische ist nur ein Teil davon, eine andere Form. Genau so wie mein Buch nur eine Zusammenstellung von Überlegungen ist, die ich auf Twitter, Facebook und im Blog formuliert habe.

Das ideale Format für Workshops wird durch weitere Versuche zu ermitteln sein. Vorerst bin ich etwas erleichtert, dass das geklappt hat – auch wenn die digitale Ebene anstrengend ist. Grund ist die Schwierigkeit, »accountable talk« wirklich zu verlangen und durchzusetzen.

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