»digitale Bildung« und »zeitgemäßes Lernen« – Bemerkungen zu zwei Haltungen

 

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Diese Version des Nolan-Phasenmodells findet sich in Beat Döbeli Honeggers Buch »Mehr als o und 1« (S. 109). Zumindest in der Diskussion über Lernen und Bildung unter den Bedingungen der Digitalisierung befindet sich die deutschsprachige Diskussion beim Übergang von Phase 3 zu Phase 4.

Was auf der Seite der Nutzerinnen und Nutzer mit »reproduzierende Nutzung« (Phase 3) und »aktive, eigenständige Nutzung« (Phase 4) gemeint ist, wird häufig mit dem SAMR-Modell dargestellt (hier in der Darstellung von Duckworth in deutscher Übersetzung).

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Das SAMR-Modell stellt grundsätzlich die Frage, ob digitale Medien in der Schule so eingesetzt werden, dass etablierte Prozesse digital abgebildet und abgewickelt werden können, oder ob neue Prozesse entstehen.

Zu dieser Frage habe ich heute einen Tweet geschrieben, der einige Reaktionen ausgelöst hat. In diesem Beitrag kläre ich, was ich damit gemeint habe.

Meiner Ansicht nach entstehen viele Debatten aus dem Konflikt von zwei Haltungen. Diese Haltungen können in unterschiedlichen Formen und Schattierungen auftreten, auch ihre Kraft ist nicht immer vergleichbar. Die Haltungen schließen sich nicht aus, aber sie geben eine Art Ziel vor.

Die erste Haltung, habe ich mit dem Stichwort »zeitgemäßes Lernen« verbunden (von der Anbindung an Hashtags rücke ich nach dieser Rückmeldung gerne ab, ich will niemandem meine Sicht aufdrängen). Sie sieht den Medienwandel – etwa mit Michael Gieseckes Innovationsspirale – als eine Veränderung der Kommunikationsformen, des Blickes auf die Welt, der Wahrnehmung. Lernen ändert sich, weil es in einem neuen medialen Umfeld abläuft. Seine Funktion, seine Methoden, seine Bedingungen sind heute andere als vor 20 Jahren. Diese Einsicht hat Konsequenzen für die Gestaltung von Lehr- und Lernarrangements. Liest man etwa bei Christoph Schmitt mit, wird deutlich: Da gibt es Menschen, die sich intensiv mit Lernen auseinandergesetzt haben, welche die heutige Schule als grundsätzliches Problem sehen. Lernen würde aus dieser Sicht ohne Schule besser funktionieren.

Meine Sicht ist nicht ähnlich radikal, aber ich sehe einige Erfordernisse der Bildungsinstitutionen, in denen ich mich bewege, skeptisch. Noten etwa, generell die Prüfungskultur. Dann Stundenpläne, die Lerneinheiten beschränken und Lernenden einen sonderbaren Rhythmus aufzwingen. Die mangelnden Möglichkeiten zur Kooperation (bei Lehrenden wie Lernenden): Das Ideal sind Einzelkämpfer*innen. An diesen Rahmenbedingungen versuche ich etwas zu ändern, weil ich zeitgemäße Lernprozesse so verstehe, dass sie in anderen Settings gedeihen. Digitale Medien interessieren mich, wenn sie das ermöglichen können.

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Die andere Haltung geht für mich vom Adjektiv »digital« aus, also etwa von »digitaler Bildung«. Sie sucht nach einem Mehrwert digitaler Kommunikation gegenüber herkömmlichen Arbeitsformen. Dabei entstehen viele Gedanken dazu, wie Ressourcen effizient genutzt werden können, wie die Motivation von Lernenden gesteigert und differenzierte Lehrformen umsetzbar werden. Die Funktion von Hausaufgaben wird hinterfragt und im Rahmen des Flipped-Classroom-Modells überarbeitet, Übungen und Feedback mit einer breiten Palette von Tools angereichert und variiert.

Aber eine Änderung der Rahmenvorgaben ist aus dieser Haltung vielleicht nicht denkbar, nicht erwünscht, nicht möglich. Das ist zunächst einmal neutral: Diese zweite Haltung geht von einem anderen Problem aus, strebt ein anderes Ziel an. Es kann aber auch ein leichter Ärger über die erste Haltung mitschwingen: Dieser Blogpost von Bob Blume bringt das auf den Punkt. Der Ärger besteht darin, dass die Vertreterinnen und Vertreter der ersten Haltung ausstrahlen, sie seien theoretisch geschulter und in ihrer Position konsequenter.

Mir ist klar, dass diese zweite Haltung nicht einfach ist. Sie erfordert viel Initiative und Durchsetzungsvermögen. Sie ist auch nicht falsch – sie entspricht einfach nicht meinen Prioritäten. Das Nolan- wie das SAMR-Modell implizieren, dass Übergänge möglich sind und automatisch erfolgen. Wer digitale Methoden einsetzt, um im soweit akzeptierten System Wirkung zu entfalten, kann aus dieser Praxis dazu gelangen, gewisse Rahmenvorgaben zu hinterfragen. Genau so ist es aber auch denkbar, dass das, was ich »zeitgemäßes Lernen« nenne, zunächst einmal in konkreten Lern-Arrangements umgesetzt werden muss, bevor es als Leitvorstellung dienen kann.

3 Kommentare

  1. Vielen Dank für diese gelungene Zusammenfassung. Sie bewegt sich im Spannungsfeld zwischen formaler Bildung und Digitalisierung. Bin sehr einverstanden mit der Aussage “erst einmal konkrete Lern-Arrangements umzusetzen”. Denn damit kommen wir ins Handeln. Wir können Schritt für Schritt neue Wege erkunden und uns darüber austauschen, was funktioniert.

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