Medienarbeit 2016

Am Wochenende habe ich mir Spotlight angesehen. Der Film handelt von einen Team beim Boston Globe, das systematischen Missbrauch von Kindern in der katholischen Kirche in den USA aufgedeckt hat. Dabei sprechen die Reporter (und die eine Reporterin) immer wieder mit Fachleuten, Betroffenen und Anwälten, die ihnen sagen, sie hätten diesbezüglich alles Material schon vor Jahren an die Zeitungen geschickt, die hätten jedoch nichts gedruckt.

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Das dahintersteckende Medienparadigma ist klar: »zur Zeitung gehen« ist der einzige Weg, Aufmerksamkeit für ein Anliegen zu erhalten. Spielt der Film 2001, so steckt dieses Paradigma auch heute noch in vielen Köpfen. Selbst in sozialen Netzwerken erlebe ich immer wieder Akteure, die darauf warten, dass die Medien bei ihnen anrufen, weil sie schon etwas zu sagen hätten.

Spotlight ist die Darstellung einer vergangenen Ära im Journalismus. Zeitungen drucken heute, was im Internet steht. Sie nehmen die Geschichten auf, die in sozialen Netzwerken bewegen – weil sie einen wichtigen Test schon bestanden haben: Sie können Aufmerksamkeit generieren. Zu denken, irgendwo gäbe es Geschichten, die keine Spuren im Netz hinterlassen hatten und von findigen Recherchierenden aufgedeckt werden, ist verführerisch, aber in der Regel falsch. Sich hilft Recherche dabei, andere Perspektiven und weiterführende Quellen zu erschließen, Zusammenhänge herzustellen. Es gibt sicher Ausnahmen und Projekte, bei denen es nötig ist, »zur Zeitung zu gehen«, weil die erst Geschichten aus etwas machen können, was erzählt werden sollte (z.B. aus den Panama-Papers).

Aber wer Öffentlichkeitsarbeit oder Aktivismus betreiben will, muss heute im Netz präsent sein. Nur das zeigt, dass jemandem wirklich an einer Geschichte liegt, dass die Inhalte Menschen überzeugen und der Aktivismus engagiert ist. Zu viele Menschen denken, eine Netzpublikation würde ihre Inhalte entwerten, sie würden etwas verschenken, wenn sie das, was sie wissen, in diesem Medium publik machen. Doch: Es ist keine Entwertung, Informationen anderen zur Verfügung zu stellen. Erst dann lässt sich abschätzen, ob die eigenen Einsichten andere berühren und ihnen wichtig sind.

Diese Medienwelt ist nicht schlechter oder besser als andere. Ich glaube nur im Sinne eines Ideals an die befreiende Kraft eines demokratischen Internets: Zu präsent ist der »Bullshit«, der die Plattformen füllt und mit voller politischer Absicht gezielt verbreitet wird. Und die Funktion guten Journalismus stelle ich damit nicht in Abrede: Werden Inhalte im Netz vorselektioniert, so ist die Aufgabe, sie journalistisch aufzuarbeiten deswegen nicht weniger wichtig geworden, sondern fast wichtiger.

Aber Medienarbeit 2016 bedeutet, (digitale) Netzwerke aufzubauen, Daten und Material zu sammeln, zu publizieren und verbreiten und darauf zu setzen, dass sich die Massenmedien immer für das interessieren, was auf den Plattformen eine Wirkung entfaltet. Das ist die Verschiebung, die Social Media möglich macht: Zuerst sprechen die Menschen über etwas, dann kommt es am Fernsehen. Nicht umgekehrt.

tl;dr: Wer eine journalistische Geschichte hat, die gehört werden soll, muss sie heute ins Netzschreiben.

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