Ein Forschungsprojekt mehrere Schweizer Universitäten lädt Nutzerinnen und Nutzer von WhatsApp ein, Chats einzuschicken. Das so verfügbare Korpus sollte dazu dienen, Erkenntnisse zur Sprachverwendung in WhatsApp zu gewinnen. Während die Anlage eines Korpus für jede Art von linguistischer Fragestellung wertvoll und wichtig ist – ein guter Grund, um da mitzumachen! – habe ich in Bezug auf den Begriff »WhatsApp-Sprache« einige Bedenken, die ich im Folgenden ausformuliere.
Das Team beschreibt ihr Vorhaben wie folgt:
Ziel des Projektes «What’s up, Switzerland?» ist es, die sprachlichen Merkmale der WhatsApp-Kommunikation zu beschreiben und mit SMS-Nachrichten zu vergleichen. Dieser Vergleich ist dank der Daten aus der SMS-Sammlung «sms4science – SMS communication in Switzerland» möglich.
Forschungsfragen sind beispielsweise:
- Wie werden verschiedene Sprachen und Dialekte in WhatsApp-Nachrichten verwendet?
- Wie interagieren WhatsApp-Nutzer miteinander?
- Wie unterscheiden sich WhatsApp-Nachrichten von SMS-Nachrichten?
- Verändert sich die Sprache durch mobile Kommunikation? Und wenn ja, wie?
Problematisch scheinen mir Begriffe wie »WhatsApp-Sprache« oder »WhatsApp-Kommunikation«. Sie legen nahe, dass eine Kommunikationsplattform ein Faktor im Sprachwandel darstellt, dessen Einfluss sich erforschen lässt. Betrachten wir das folgende Beispiel:
Hier gibt es eine Reihe von linguistischen Auffälligkeiten oder Abweichungen von einer normierten Hochsprache. Welche davon sind dem Medium WhatsApp geschuldet? Vergleicht man nun solche statistisch erhobenen Merkmale (Anglizismen, Interpunktion, Verschriftlichung paraverbaler Kommunikation »*sanft säusel*« etc.) mit solchen in einem SMS-Korpus, dann werden sicher Veränderungen ersichtlich (schon allein die Länge der Nachrichten wird einen entscheidenden Einfluss haben). Aber könnten diese Veränderungen nicht gleichzeitig der Verwendung von Foren, anderen sozialen Netzwerken und Medien geschuldet sein? Woher kommt die englische Schreibweise »wud luvv« (statt: »would love«), woher die mehrfachen Ausrufezeichen? Hier holt man sich sofort auch Chats in Videospielen ins Boot, eine ganze Kultur, die im Netz direkt verbunden ist.
Anders als SMS, die in der Anfangsphase alle frisch getippt wurden, ist WhatsApp ein Copy-Paste-Kanal. Jugendliche stellen oft Screenshots rein, die wiederum Text enthalten, verschicken Links. Auf Watson (siehe unten) ist es in der mobilen Ansicht beispielsweise mit einem Knopfdruck möglich, einen Artikel in WhatsApp zu sharen.
Kurz: So wichtig es ist, den Einfluss von Medien auf Sprache zu Untersuchen, und so richtig die Erstellung eines Korpus ist – um den Einfluss eines Kanals isolieren zu können, bräuchte es gleichzeitig ein Facebook-, ein Twitter-, ein Tumblr-, ein Kommentar-, ein Forums-, ein Meme- etc. Korpus. Diese Aufgabe ist nicht zu leisten.
Es wäre völlig vermessen und verfehlt, den Forscherinnen und Forschern Naivität zu unterstellen. Das Projekt wird von hoch qualifizierten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern begleitet, die sicher differenzierte Untersuchungen anstellen wollen. Nur darf man sich nicht zu direkte Resultate oder Aussagen erhoffen, weil die verschiedenen Faktoren, die Sprache beeinflussen können (soziale Gruppen, Intertextualität, jugendsprachliche Phänomene) so komplex sind und auf WhatsApp alle aufeinanderprallen. Sie isolieren zu wollen, erscheint mir ein enorm schwieriges – wenn nicht unmögliches – Unterfangen.
Die Angiftungen zu diesem Posting via Twitter kann ich nicht wirklich nachvollziehen, will sie auch nicht weiter kommentieren.
Wie Philippe richtig sagt, ist es völlig legitim diese Art von Forschung zu machen. Ich teile aber auch Philippes Aussage, dass die Untersuchung der Veränderung der Sprache und die Rolle der digitalen Kanäle in einem breiteren Kontext mehr als spannend wäre – WhatsApp ist lediglich EIN Kanal, SMS ein anderer, genauso wie Facebook oder viele viele andere. Und nicht zuletzt hat auch das (von mir so genannte) Trash TV einen Einfluss auf die Bildung der Sprache. Wenn ich junge Menschen beobachte (und v.a. zuhöre), dann nutzen sie gewissen Begriffe der Online-Kommunikation auch Offline, wie z.B. ROFL oder LOL, etc.
Spannend wäre z.B. ein Projekt analog dem Paper „Is Google Making Us Stupid? The Impact of the Internet on Reading Behaviour“ von Val Hooper et al., (leider noch nicht Online) wie es gestern auf der 27th Bled eConference vorgestellt wurde. Hier geht es um die grundsätzliche Veränderung des Leseverhaltens „dank“ der Onlinemedien. (Der erste Teil des Titels ist sicher dem „Marketing“ geschuldet…).
Es ist zu vermuten, dass in den wissenschaftlichen Publikationen zum Projekt nirgends von „WhatsApp-Sprache“ zu lesen sein wird. Vielmehr hat man wahrscheinlich gedacht, dass mit einem solchen eher plakativen Ausdruck die meisten WhatsApp-Nutzenden eher erreicht werden können als mit einer Formulierung wie „sprachliche Merkmale in der WhatsApp-Kommunikation“. „WhatsApp-Kommunikation“ wiederum verweist möglicherweise einfach auf die technischen Rahmenbedingungen. Und dass WhatsApp ganz unterschiedlich genutzt werden kann und wird, kommt auch in einem Aufsatz von Karina Frick und Christa Dürscheid zum Ausdruck: „Wie wir noch sehen werden, sollte man WhatsApp nicht als ›Kommunikationsform‹, son¬dern als ›Kommunikationsplattform‹ bezeichnen, da hier verschiedene Kommunikations¬praktiken nebeneinander nutzbar sind.“ http://www.mediensprache.net/networx/networx-64.pdf (S. 152) Sicherlich wäre es aber sinnvoll, Vergleichskorpora anderer Kommunikationsformen heranzuziehen und zu versuchen, innerhalb des Projektes Subkorpora zu bilden (Texte von Männern/Frauen, von Jugendlichen/Senioren, private/geschäftliche Nutzung, synchrone/asynchrone Nutzung etc.), was über den Fragebogen ev. möglich sein dürfte.
Ich denke, dass insbesondere Christa Dürscheid, die zum Forschungsteam gehört, ebenfalls erheblich Bedenken gegen eine „WhatsApp-Sprache“ hat. Vgl.: https://www.mediensprache.net/archiv/pubs/2409.pdf