Schulkultur und Social Media

Eine Schulkultur, also die Gesamtheit von Umgangsformen, Erwartungen, Traditionen und Symbolik einer Schule und ihrer Gemeinschaft, ist eigentlich eine Schulkommunikationskultur. Als solche ist sie Veränderungen der Kommunikationspraxis direkt ausgesetzt und davon betroffen. Gerade auch deshalb, weil fast jeder Prozess, der Schule ausmacht, in Social Media abbildbar ist.

Beuth Schule Berlin. everythingandme, society6.
Beuth Schule Berlin. Clemens Behr, society6.

Welche Einflüsse kann Social Media auf die wesentlichen Bestandteile von Schulkultur haben? Zunächst ist die Antwort ganz einfach: Ohne Kommunikation gibt es keine Schulkultur. Sie etabliert Normen und Werte in Bezug auf die Interaktion der Lehrenden und Lernenden an einer Schule und legt fest, welche Erwartungen berechtigt und welche unberechtigt sind. Social Media verändert Kommunikation und damit auch diese Normen, Werte und Erwartungen. Diese Veränderung ist nicht eindimensional zu beschreiben. Einige Verbindlichkeiten werden abgebaut: Ist es unabhängig von Ort und Zeit möglich zu kommunizieren, so wird die Möglichkeit genutzt. Sie ersetzt dann geplante, frühzeitige Informationsprozesse. Andererseits ist damit auch die Erwartung verbunden, dass die Möglichkeiten genutzt werden. Die Einführung von Email kann aus einiger Distanz als erster Schritt in diese Richtung betrachtet werden: An einigen Schulen ist es heute üblich, dass sich kranke Schülerinnen und Schüler vom Unterricht bei all ihren Lehrpersonen per Email abmelden. In der Konsequenz führt das aber auch dazu, dass vor Unterrichtsbeginn Emails gelesen werden müssen – auf beiden Seiten entsteht eine höhere Verbindlichkeit.

Das Beispiel zeigt, dass neue Kommunikationsformen die Entwicklung neuer Normen und Werte erfordern. Das Bestehen auf einer bewährten Kommunikationskultur durch den Ausschluss Neuer Medien ist eine höchstens mittelfristig sinnvolle Strategie, die sich immer stärker von der medialen Wirklichkeit der Familien und der Jugendlichen entfernt und damit aufwändiger zu vermitteln sein wird. Entscheidend ist aber, dass eine kommunikative Kultur mit Social Media erarbeitet wird. Der Ethnologe Daniel Miller hat am Beispiel von Facebook gezeigt, wie das soziale Netzwerk in verschiedenen Kulturen ganz andere Formen annimmt. Es gibt, so seine Hauptthese, nicht ein Facebook, sondern in jeder Kultur ein ganz anderes. Analog gibt es nicht einfach Social Media mit festgelegten kommunikativen Verhaltensweisen, sondern kulturelle Prägungen von Social Media. Jede Schule kann und soll Social Media entsprechend vorhandener Werte und Normen formen.

Auszug aus der Präsentation der Helene-Lange-Schule.
Auszug aus der Präsentation der Helene-Lange-Schule.

Die Helene-Lange-Schule in Wiesbaden war 2007 Trägerin des Deutschen Schulpreises der Robert Bosch Stiftung. In einer Dokumentation zur Schulkultur  sind folgende Stichworte festgehalten:

  • Beziehungen zwischen Menschen
  • Das bin ich – das sind wir. Einander kennen heißt einander akzeptieren.
  • Wertschätzung der Leistung jedes Einzelnen.
  • Klassenraum als »Zuhause«, die Klasse gibt Halt.
  • Rituale geben Orientierung.
  • Verantwortung übernehmen: Selbständig das Lernen organisieren.; Schüler helfen Schülern; wir leben in einer Welt.
  • Das Lehrerteam: Unterricht und Organisation, Evaluation, Schulentwicklung, Fortbildung, Aufgaben und Ämter.
  • Schule dem Leben außen öffnen.
  • Schule ganzheitlich leben: Fächerübergreifende Projekte.

An diesen Beispielen sieht man, dass gerade die individuelle und die soziale Komponente von Social Media geeignet sind, Schulkultur in einem positiven Sinne zu ermöglichen. Fast alle der hier zitierten Schlagwörter können direkt auf den Umgang von Jugendlichen mit Social Media bezogen werden: Auch dort gibt es ein Zuhause in einer Community, erhält jede und jeder Einzelne für Leistungen Aufmerksamkeit, findet Organisation durch Selbstorganisation statt, werden Verbindungen zwischen Themen und eine Öffnung nach außen leicht gemacht.

Twitter-Aktivitäten während der Tatort Sendung.
Twitter-Aktivitäten während der Tatort Sendung (Januar 2010).

Das heißt wiederum nicht, dass es ohne das Web 2.0 keine Schulkultur mehr geben kann. Aber die Befürchtung, sein Einsatz gefährde den Zusammenhalt und bewährte Konzepte, ist nur dann berechtigt, wenn neue Kommunikationsmittel nicht in die Kulturarbeit an einer Schule integriert werden. Wer länger Teil einer auf Social Media aktiven Gemeinschaft war, kann bestätigen, dass sich dort Menschen kennen lernen, die sich akzeptieren und wertschätzen und so gemeinsam auch Rituale pflegen. Jeden Sonntag Abend verbinden sich im deutschsprachigen Raum Tausende Menschen auf Twitter, um sich über den laufenden Tatort-Film auszutauschen. Sie finden dort eine Gemeinschaft, die ähnliche Interessen teilt, werden gehört und hören zu. Solche virtuellen Rituale sind auch einer Schulgemeinschaft zugänglich. Sie ermöglichen dann eine Verbindung auch im privaten Bereich, schaffen einen virtuellen Klassenraum, der auch dann ein Zuhause ist, wenn sich die Schülerinnen und Schüler nicht darin befinden.

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