Jugendliche sind keine Kinder

Bildschirmfoto 2014-05-14 um 10.02.57Gestern ist ein Interview bei Watson erschienen, in dem ich vor allem zu Sexting Stellung nehme. Darin sagte ich unter anderem Folgendes:

Man muss aber auch sagen, dass die grosse Mehrheit der Fälle völlig unproblematisch ist. Sexting ist also einfach eine Art, wie Sexualität ausgelebt wird. [Problematische Fälle] sind dann aber gleich sehr gravierend. Das Risiko, das Jugendliche eingehen, ist relativ hoch. Es ist aber nicht so, dass sie das nicht wüssten – genau darin liegt eben der Reiz. […]
Man ist beim Thema Internet einfach noch nicht so weit, dass man versteht, dass es Unfälle gibt. Im Strassenverkehr ist es ja auch nicht so, dass man jeden Unfall künstlich aufbläst und deswegen in Frage stellt, ob man überhaupt noch mit dem Auto fahren sollte.

Das Interview ist neben positiven auch auf kritische Reaktionen gestoßen, vor allem durch den Medienjugendschutzexperten Günter Steppich und den Bildungsjournalisten Christian Füller.

Meiner Meinung nach gibt es drei Hauptkritikpunkte:

  1. Sexting ist ein Phänomen, das nicht entdramatisiert werden darf, weil der Schaden enorm ist, wenn erotische und sexualisierte Bilder von Jugendlichen verbreitet werden und sie dadurch bloßgestellt und misshandelt werden. 
  2. Die Analogie zum Straßenverkehr impliziert, dass im Netz Bemühungen vorhanden sein müssten, um die sexuelle Integrität von Kindern und Jugendlichen zu schützen. Das ist aber nicht der Fall.
  3. Macht jemand solche Aussagen wie ich, dann stelle ich Pro Juventute bzw. Laurent Sedano in ein schlechtes Licht, weil sie scheinbar ein Problem dramatisieren, für dessen Lösung sie sich stark engagieren.

Dazu möchte ich kurz Stellung nehmen, wiederum der Reihe nach:

  1. Aus meiner Sicht müssen zwei Formen von Sexting unterschieden werden:
    a) Eine medialisierte Form der sexuellen Aktivität von Jugendlichen, die Personen, denen sie vertrauen, freizügige Bilder von sich schicken – im Wissen darum, dass ein Vertrauensbruch gravierende Folgen haben kann. Das Vertrauensparadox besagt, dass das Risiko den Wert des Vertrauensbeweises sicherstellt.
    b) Die unbefugte Aufnahme und Verbreitung von intimen Aufnahmen von Jugendlichen/Kindern durch ihre Peers, mit dem Ziel, sich über sie lustig zu machen und sie bloßzustellen.
    Kein vernünftiger Mensch würde bestreiten, dass b) ein massives Problem ist und Lösungen gefunden werden, um solche Fälle zu verhindern. Sie sind dramatisch und es wäre fahrlässig, sie zu verharmlosen. Nun ist aber meine Sicht gerade die, dass eine Lösung für b) auch beinhaltet, dass Jugendliche ernst genommen werden und ihre medialen Praktiken in einem offenen Dialog mit pädagogischen Begleitpersonen diskutiert werden – ohne dass sie dafür verurteilt werden.
    Wird nun a) als Vorstufe oder Basis für b) angeschaut, dann wird das Ausleben jugendlicher Sexualität kriminalisiert und stigmatisiert. Dagegen wehre ich mich.
  2. In der Diskussion bei Christian Füller wurde in diesem Punkt eines klar: Niemand wehrt sich dagegen, dass das Netz für Kinder sicherer gemacht wird. Die Frage ist nur, wie das geschehen kann und was ein angemessener Preis dafür ist. Die Straßenverkehrsanalogie halte ich für weiterhin zutreffend: Da werden Maßnahmen getroffen, gleichwohl darf auf gewissen deutschen Autobahnen weiterhin ohne Tempolimit gefahren werden, weil angenommen wird, dort würden sich keine Kinder aufhalten. Es brauchte sichere Chatrooms für Kinder, Webseiten, die frei von Pornografie sind, Kontrollmöglichkeiten für Eltern. Aber das Netz als solches muss auch ein Platz für Erwachsene sein können.
    Hinzu kommt, dass in solchen Diskussionen oft so getan wird, als wären Jugendliche Kinder. Kinder haben heute ohne Begleitung im Netz nichts verloren. Sie sind verletzlich und müssen geschützt werden. Das gilt für Jugendliche nicht im gleichen Maße, weil es zu ihren Entwicklungsaufgaben gehört, neue Erfahrungen zu machen. Das tun sie auch im Netz.
  3. In der Präventionsarbeit und auch andernorts halte ich wenig von der Vorstellung, das gute Absichten einen vor Kritik schützen sollten. Jugendliche und Kinder leiden unter verschiedenen Problemen: Familienkonflikten, Gewalt, Gruppendynamiken, Armut, Krankheit, Schicksalsschläge, Abhängigkeiten in der Familie etc. Dazu kommen auch durch Medien erzeugte Probleme. Wird der Fokus auf einen Problembereich zu stark, verschwinden andere. Werden Jugendliche als ohnmächtig, statt als handlungsfähig dargestellt, verändert das den Umgang mit ihnen und ihre soziale Rolle. Darauf, so finde ich, darf und soll man hinweisen. Auch die Tatsache, dass die Pro Juventute auf Geld angewiesen ist, muss man nicht verschweigen, wenn man über die Organisation spricht. Dass mit diesem Geld viel gute Arbeit geleistet wird und insbesondere das Informationsmaterial der Pro Juventute von hoher Qualität ist, habe ich nie bestritten.

Ich bin bestrebt, genau hinzusehen und zu differenzieren. Werden Gefahren genau beschrieben und damit verbundene Phänomene, die harmlos sind, positiver dargestellt, als das in der öffentlichen Wahrnehmung der Fall ist, dann ist das in meiner Sicht richtig und wichtig. Dramatisierung dient kaum den von einem Problem Betroffenen.

3 Kommentare

  1. Johnb138 sagt:

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