Projektarbeit, KI und die Vorstellung «resistenter» Aufgaben

An meiner Schule läuft ein Prozess, bei dem sich alle Beteiligten intensiv mit der Frage auseinandersetzen, wie KI Unterricht und Lernen verändert. In Gesprächen ist mir aufgefallen, dass hier zwei Sichtweisen unterschieden werden können, aus denen unterschiedliche Verständnisse auf die Möglichkeiten des KI-gestützten Arbeitens resultieren.

Ich beginne mit meiner Sicht: Ich arbeite für mich selber an verschiedenen Projekten. Gerade habe ich einen Kurs zu True Crime ausgeschrieben. Ich wusste, was der Kern des Kurses sein soll. Von Perplexity habe ich mir 10 Erkenntnisse über True Crime aus der kulturwissenschaftlichen Forschung formulieren lassen, auf Bluesky habe ich nachgefragt, welche Texte Fachpersonen mir empfehlen würden. Den Ausschreibungstext habe ich mit Claude stilistisch überarbeitet. Von der Konzeption über die Ausschreibung bis zur Durchführung ist diese Kurs mein Projekt. Mein Ziel ist es, mit den Schüler:innen neue Arbeitsformen zu finden, neue Perspektiven auf True-Crime-Narrative zu erhalten. Ich möchte lernen und andere zum Lernen inspirieren. Aus diesen Gründen nutze ich KI immer wieder dort, wo mir das in diesem Prozess hilft. Für einige Arbeitsschritte ist das extrem nützlich (durch die 10 Erkenntnisse bin ich auf Forschungsprojekte aufmerksam geworden, die ich nicht kannte), für andere weniger (Claude hat einen etwas kindlichen Text formuliert, der kaum besser war als mein eigener).

Mein Arbeitsmodus ist das Prozess- oder Projektmodell, das ich so darstellen würde: Die KI-Möglichkeiten sind gerahmt von meiner Arbeit, die auch klare Grenzen setzt. Das Ziel meiner Arbeit ist eine Entwicklung, ein Lernvorgang.

Auf der anderen Seite steht das Produktmodell. Hier steht die Vorstellung im Vordergrund, Lernende müssten in beschränkter Zeit ein Produkt abgeben, das bestimmten Kriterien genügt. Diese Kriterien braucht es auch deshalb, weil dadurch Kompetenzen erkennbar werden, die bei der Herstellung des Produkts verwendet wurden. Ein Produkt kann eine Prüfungsantwort sein, ein Poster, ein Aufsatz, eine Präsentation etc.

Betrachtet man KI nun so, dass gibt es die Grenzen nicht mehr. Es kann gut sein, dass eine KI-Anwendung das gesamte Poster designt und jeden Text darauf formuliert hat. Das ist in diesem Modell problematisch, weil Schüler:innen gar nicht mehr selber arbeiten, im Produkt sind ihre Kompetenzen nicht mehr erkennbar.

Aus diesen Gründen gehen Lehrpersonen zunehmend davon aus, Projektarbeit sei aufgrund der Verfügbarkeit von KI problematisch geworden. Sie denken darüber nach, wie sie Aufgaben formulieren können, die «KI-resistent» sind, bei denen also Schüler:innen nur eigene Kompetenzen einbringen können, weil es gar nicht möglich ist, diese durch automatisierte Verfahren bearbeiten zu lassen. Die Suche nach solchen Aufgaben ist aufwendig, oft gleicht sie einer Sysiphus-Arbeit, weil KI-Tools laufend erweitert werden und in einer Woche vielleicht auch das können, was heute noch nicht geht.

Schule ist heute oft so gestaltet, dass Lehrpersonen auf das Produktmodell angewiesen sind. Sie unterrichten so viele Schüler:innen und haben so wenig Zeit für die Begleitung der Lernenden, dass sich ihr Feedback auf die Begutachtung von Produkten beschränken muss. Das wiederum führt zur unbefriedigenden Situation, dass entweder der Zugang zu KI-Tools eingeschränkt werden muss oder mit viel Aufwand KI-resistente Aufgaben gesucht werden müssen. Letztlich führt das Produktmodell in der Tendenz zu kleinteiliger Kontrolle, auch wenn Lehrpersonen das grundsätzlich nicht möchten.

Wenn Schüler:innen ganz grundsätzlich in einem Prozessmodell arbeiten sollen, dann brauchen sie Freiräume, Vertrauen, Autonomie, individuelle Settings und Begleitung. Entwicklungen verlaufen ungleichzeitig und lassen sich nicht durch Kontrolle und Anreize erzwingen. Das bedingt aber ein Umdenken, eine neue Grammatik der Schule, mehr Möglichkeiten für Lernende wie Lehrende. So lange zu fixen Zeitpunkten Produkte benotet werden müssen, werden Lernende ins Produktmodell gezwungen. Das bedingt Kontrolle, Beschränkungen und letztlich auch Arbeitsformen, die Lernenden oft nicht entsprechen. Dann stellen sie Sinnfragen, die wir Lehrpersonen oft nicht so genau beantworten können. Das hat auch mit KI zu tun: Wir haben zwar bestimmte Lernerfahrungen im Produktmodell gemacht, arbeiten aber mittlerweile alle im Projektmodell. Und wenn wir jungen Menschen zusichern, dass sie all das, was sie in kleinteiligen Kontrollsettings lernen, später einmal brauchen, dann wissen wir insgeheim, dass das wohl nicht ganz stimmt… 

1 Kommentar

  1. Avatar von Unbekannt Anonymous sagt:

    Vielleicht kommt es gar nicht so sehr auf die Differenzierung zwischen Produkt und Prozess an, denn schließlich entsteht ja jedes Produkt in einem Prozess, sondern eher auf authentische, lebensweltnahe und relevante Aufgabenstellungen, die Schüler*innen auch aus einem gewissen eigenen Antrieb heraus bearbeiten möchten und bei der sie sich zumindest bei der vollständigen Delegation an ein generatives KI-System um einen wichtigen Teil der Lernerfahrung bringen würden.

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