Das Stil-Problem – wie KI Skills entwertet

In den ersten Jahren meines Studium schrieb ich schlecht. Ich verfügte über einen großen Wortschatz, setzte ihn aber wirkungslos ein: In meinen Sätzen wollte ich zeigen, welche hochtrabenden Wörter ich kannte, statt eine Aussage möglichst präzise zu formulieren (typisch für diesen Stil waren lateinische Wendungen, die ceteris paribus nur zeigen, für wie gebildet sich jemand hält, q.e.d.). Der Vater meiner damaligen Freundin war Pfarrer. Er las meine Texte erbarmungslos durch die Brille der Mündlichkeit: Wie klingt ein Satz, wenn man ihn laut ausspricht? Seine Rückmeldungen zwangen mich dazu, kürzere Sätze zu machen, einfacher zu schreiben und so klarer zu werden.

Fast zur gleichen Zeit begann ich die Empfehlungen von Wolf Schneider zu lesen. Der Journalist predigte Ähnliches: Kurze Sätze, das Gehirn der Leser:innen nicht strapazieren – auf den Punkt kommen.

Die dritte Stilschule war Twitter: Ich war recht früh dabei und habe viele Tweets noch so verfasst, dass sie ins Limit von 140 Zeichen passen mussten. Nach über 100’000 Kurznachrichten konnte ich etwas recht gut: prägnant formulieren.

Nebenbei habe ich mir einige Marotten angewöhnt: Durch das Schreiben für deutsche Verlage habe ich eine Neigung zum ß entwickelt, das in der Schweiz nicht verwendet wird. Zudem mag ich «Guillemets», Doppelpunkte und Gedankenstriche – die langen, richtigen. Ich nutze ganz kurze Sätze und Reihungen. Erlaubt mir ein uneingeleiteter Nebensatz, auf «wenn» zu verzichten, tue ich das.

Nun zum Problem: So wie ich schreibe, wenn ich mir wirklich Mühe geben, schreiben viele KIs. Lese ich Texte, die ich stilistisch gelungen finde, denke ich sehr oft, dass da jemand KI zur Überarbeitung eingesetzt hat. Meine Fähigkeit, so zu schreiben, wie ich schreibe, ist doppelt entwertet worden:

  1. Durch KI können Menschen ohne das Training, das ich durchlaufen habe, so schreiben, wie ich schreibe.
  2. Mein Schreibstil ist keine positive Qualität mehr, sondern führt zum Verdacht, ich würde eine Abkürzung verwenden.

Sprachlicher Stil ist nicht der einzige Skill, bei dem das passiert. Die KI kann auch Mathe-Aufgaben lösen und erklären, sie kann Programme schreiben, Logos generieren etc. Nichts davon kann sie so gut, wie Profis das können: Autor:innen literarischer Bücher greifen auf Stil-Register zurück, welche die KI nicht imitieren kann; Mathematiker:innen bearbeiten Probleme, bei der KIs kaum Unterstützung bieten können; Programmierer:innen schreiben sauberen, strukturierten und effizienten Code, was die KI so nicht kann.

Darum geht es nicht. Ich bin kein Künstler, ich habe keinen eigenen Stil entwickelt, sondern einfach Rezepte umgesetzt. Aber ich habe lange geübt und viel geschrieben, bis ich so weit war. Die sprichwörtlichen 10’000 Stunden von Gladwell stecken in meinem Schreiben – und sie stecken in der Mathematik und im Logo-Design von Menschen, die nun genau das können, was die KI auch kann (es ist durchaus anspruchsvoll, etwas so gut zu können, dass man der KI heute das Wasser reichen kann – auch wenn wir uns oft mit den basalen Rechen- oder Logik-Fehler von Tools trösten).

Ansichtskarte: Zürich, Bahnhofplatz mit Trams und Kutschen, 1930

Die Entwertung von Skills ist direkt mit technologischer Innovation verbunden. Wer im Umgang mit Kutschen und Pferden trainiert war, hat irgendwann zu Beginn des 20. Jahrhunderts die Erfahrung gemacht, dass diese Kompetenzen an Wert verloren haben, weil Kutschen kein primäres Transportmittel mehr waren. Selbstverständlich gab es weiterhin Bedarf für Menschen, die sehr geschickt in der Zucht von Pferden oder beim Steuern von Kutschen waren, aber die grundlegenden Fertigkeiten waren weniger gefragt und zahlten sich weniger aus.

Beim persönlichen Blick auf meine Kompetenzen kommt hinzu, dass ich Schreiben und Text-Kompetenzen als junger Erwachsener gelernt habe. Nun bin ich fast 50 – ich lerne nicht mehr so schnell und habe nicht mehr so viel Zeit, um mich in neue Umgebungen einzuarbeiten. Zudem ist die Orientierung nicht ganz leicht: Was ist denn nun eine mit Schreibstil vergleichbare Fertigkeit? Eine Weile lang dachten viele Menschen, «prompten» würde eine wichtige Kompetenz werden. Mittlerweile spricht man bei elaborierten, ausgetüftelten Prompts von Boomer-Prompts, welche bei der aktuellen Version der KI-Tools wenig oder gar keine Wirkung mehr entfalten. Selbstverständlich kann ich Up-To-Date bleiben, welche Tools es gibt und was man damit machen kann. Ein richtiger Skill ist das aber nicht. Und selbstverständlich ersetzen neue Technologien und Praktiken die alten nicht, sondern geben ihnen eine neue Bedeutung. In Davos in eine Kutsche zu steigen, um in ein verschneites Tal zu fahren, ist zu einem Luxus geworden. Vielleicht ist es ein Luxus, einen Text wie diesen ohne jegliche KI-Unterstützung zu schreiben. Oder ein Mathe-Problem von Hand zu lösen. Oder ein Logo zu designen.

(Ich danke meiner Kollegin Lisa für das Gespräch, in dem diese Gedanken wurzeln.)

6 Kommentare

  1. Avatar von Unbekannt Anonymous sagt:

    Wenn wir Glück haben, erhält die Sprache so mindestens wieder etwas Aufwind in Form von Impro-Theater oder Poetry Slam, etc. Dann ist es eine Kompetenz, die man nur Üben kann und man Beherrschen lernt, weil man es will, nicht weil man es braucht.

    Passend dazu entsteht hoffentlich eine grössere Community, die das wertzuschätzen weiss. Aber für sich alleine schreiben und anderen versichern können, man sei alleiniger Urheber dieser Sätze, Gedichte, Geschichten? Diese Gewissheit gab es bereits vor KI nicht mehr vollständig (Plagiate, Ghostwriter), die LLM haben der geschriebenen Kunst nur den Todesstoss gegeben. Vielleicht entstehen Künstlerräume mit „Schiedsrichtern“, wo man unter Aufsicht schreibt und sich die „Echtheit“ attestieren lassen kann. Echt wäre aber nur das Aufschreiben, selbst da könnte man KI-generierte Texte vorgängig auswendiglernen. In diesem Fall wäre aber das Betrügen durch Auswendiglernen ebenfalls eine Kompetenz, die man erst mal üben muss 😀

    Mein Trost (oder Glück) als Musiklehrer ist, dass das Musizieren schon seit jeher ein Luxus ist. Man lernt das Instrument, um daran Gefallen zu haben, wenn etwas gelingt. Das Üben, die Anstrengung, das Lampenfieber, mit anderen zusammen etwas Grosses, Schönes erschaffen, verschiedene Komponisten, Stile und Werke kennenlernen! Da kann KI noch so viel können wie so viele andere, echte Musikerinnen und Musiker auf der Welt: Der Spass ist ja gleich wie beim Sport. Es macht eben auch Spass, wenn man es selber tut und nicht bloss am Fernsehen oder Stadion „konsumiert“.

  2. Avatar von Unbekannt Anonymous sagt:

    Fotografieren können ist auch so ein Skill. „Früher“ konnte ich besser fotografieren, als fast alle meine Freunde und Familienmitglieder. Einfach, weil ich etwas über Licht, Tiefenschärfe, Blende etc. wusste und ein wenig ein Auge für den Bildausschnitt hatte. Mit meinen Skills war ich zwar noch meilenweit weg von Profis, aber halt besser als der Durchschnitt.

    Mit den dauerverfügbaren Handyknipsen, den automatischen Bildkorrekturen, den Bearbeitungsmöglichkeiten direkt am Handy, hat sich mein früher sichtbarer Vorsprung mehr oder weniger in Luft aufgelöst. (Fast) niemand interessiert sich nun noch für Fotos anderer Menschen, weil man alles selber rasch geknipst hat, oder weil einem schon jemand ein gelungenes Bild auf WhatsApp oder anderen Kanälen zugesteckt hat.

    So fotografiere ich halt weiter, still für mich, und freue mich darüber, dass mein Bild meistens immer noch besser ist als das meiner KollegInnen. Aber die sehen das meist gar nicht und sind zufrieden mit ihren eigenen Bildern.

  3. Avatar von Unbekannt Anonymous sagt:

    Zur Wehmut kommt bei mir noch Frust hinzu: Der Frust, einen grossen Teil des eigenen Unterrichts den neuen Gegebenheiten anpassen zu müssen, also KI-gerecht oder -ungerecht gestalten zu müssen, ohne wissen zu können, wohin uns das in Zukunft noch führen wird.

    1. Danke für diese Ergänzung, das kann ich sehr gut nachvollziehen… 

  4. Avatar von Unbekannt Anonymous sagt:

    Ich lese eine Traurigkeit und Wehmut in deinen Text und identifiziere mich. Luxus trifft es gut und damit Kostbarkeit.

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