Daten sind nicht das Erdöl der Zukunft

Die Sprache, mit der Phänomene erfasst werden, bestimmt ihre Bedeutung. Diskurse transportieren eine Ideologie. Das trifft in besonderem Maße auf die Diskussion der Auswirkungen und der Bedeutung der Digitalisierung zu.

Die Bilder und Metaphern, die sich etabliert haben, sind oft schief. Sie enthalten einen wahren Kern, transportieren aber in einem stärkeren Maße tendenziöse und manipulative Behauptungen. Sie werden so nicht nur falsch, sondern auch gefährlich.

Ein Beispiel dafür ist die Rede von den Digital Natives, die ich hier schon eine Kritik unterzogen habe. Ein weiteres ist die Behauptung, Daten seien das Erdöl (oder das Rohöl) der Zukunft. »Doch mal abgesehen von allen Risiken, fest steht: Daten sind das neue Öl«, schrieb etwa Gerd Leonhard im Marketing Jahrbuch 2011. Die scheinbare Evidenz, mit der solche Bilder eingeführt und verwendet werden, verhindert, dass nach ihrer Stimmigkeit gefragt wird.

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Bild: sevenheaven.nl, Ausschnitt

Was meint also der Vergleich zwischen Daten und Öl? Wahrscheinlich folgende Aspekte:

  1. Die zentralen Bereiche der Wirtschaft sind auf den »Rohstoff« angewiesen.
  2. Es handelt sich um einen »Rohstoff«, also um etwas, was verarbeitet und angewendet werden muss, um einen Wert oder eine Bedeutung haben zu können.
  3. Infolgedessen gibt es eine hohe Nachfrage danach.
  4. Diese hohe Nachfrage führt zu wirtschaftlichen und oder kriegerischen Auseinandersetzungen.
  5. Wer den »Rohstoff« kontrollieren kann, wird mächtig.

Auch wenn einige diese Aspekte durchaus diskutiert werden könnten, werde ich mich im Folgenden auf andere Probleme beschränken, die der Vergleich mit sich bringt.

Daten sind kein Rohstoff
Daten gibt es beliebig viele. Sie werden laufend generiert. Sie können beliebig oft kopiert werden, ohne darunter zu leiden. Es ist nicht einmal ganz klar, was Daten überhaupt sind. Handelt es sich um Informationen? Um Inhalte von Archiven?

Die Auswertung von Daten hat keinen klaren wirtschaftlichen Wert
Zurecht fürchten wir uns vor dem Wandel im Versicherungssystem, der Solidarität durch individuelle Informationen und Prämien ersetzt. Aber solche Szenarien verdecken, dass Big Data bisher wenig mehr als ein Versprechen ist: Dass durch die Auswertung großer Datensätze neue Wirtschaftsaktivitäten entfaltet werden können, ist nicht bewiesen. Nur weil die meisten großen Player Angst haben, ohne Datenauswertung einen wirtschaftlichen Nachteil zu erleiden, funktionieren Daten und ihre Auswertung nicht ähnlich wie Öl und seine Verwendung.

Daten sind nicht, sondern werden gemacht
Öl ist durch einen komplexen, langwierigen Prozess entstanden und kann nicht synthetisiert werden. Daten stellen wir ständig her. Das ist nicht entscheidend: Jeder Atemzug, jeder Herzschlag, jede Bewegung, die ich während dem Schreiben dieses Beitrags ausführe, ist ein potentieller Datensatz. Interessant werden sie allenfalls, wenn sie gemessen, gespeichert, interpretiert werden.

Das Mantra dieses Blogs lautet: Wir müssen genaue Gedanken, Argumente und Sprechweisen finden. Zu sagen, Daten seien das Öl der Zukunft, ist nicht weiterführend.

3 Kommentare

  1. Caravaggio sagt:

    Also zunächst mal halte ich diesen Vergleich für einen Versuch, die „Digitalökonomie“ wichtiger darzustellen, als sie eigentlich ist. Den wirtschaftlichen Stellenwert fossiler Rohstoffe irgendwelchen „massgeschneiderten Ads“ gegenüber zu stellen ist bestenfalls niedlich zu nennen und zeigt m. E. wie sehr sich der „digitale Diskurs“ häufig um sich selbst dreht und die materiellen Grundlagen der Existenz verdrängt.
    Vielleicht sollte man sich zunächst mal vergegenwärtigen, wie die ganze digitale Infrastruktur (Serverfarmen, Verbindungen, Endgeräte) hergestellt und betrieben wird.
    Um bei dem Migros/Coop Beispiel zu bleiben: Auch die Existenz eines Supermarktes ist in wesentlichen Teilen (sterile Einzelverpackungen, Transport, gekühlte Lagerung) auf Erdölprodukte und fossile Energiegewinnung zurück zu führen.
    Man könnte dies für alle möglichen gesellschaftlichen Bereiche weiter spinnen…

  2. Der Crux sämtlicher Analogien ist, dass sie oft primär in den Augen desjenigen passend sind, der sie aufstellt. Andere Betrachter haben andere Sichtweisen und Betrachtungsebenen, in denen diese Analogien dann halt oft nicht funktionieren (oder sich sogar als kontraproduktiv erweisen). Schlussendlich würde das bedeuten, dass man auf Analogien generell verzichten und die Dinge für und in sich selbst verstehen müsste. Bin mir aber nicht so sicher, ob die individuelle Lebenszeit ausreicht (von dem dazu notwendigen Grundlagen-Wissen ganz zu schweigen), um dies nur schon in allen alltagsrelevanten Dingen und Themen zu tun. Also haben Analogien zum anschaulichen Vermitteln von Konzepten und Zusammenhängen durchaus ihren Platz, es wäre aber zu wünschen, dass der Analogiepräger diese in einen verständlichen Kontext setzt (und alle anderen auch akzeptieren, dass genau dieser Kontext gemeint ist).

    Um auf die Öl-Analogie zurückzukommen: Wie alle virtuellen Dinge haben auch Daten keine der physischen und physikalischen Eigenschaften von Öl. Sie haben aber sehr wohl eine vergleichbare Enabler-Rolle für eine darauf basierende Wirtschaft: Genauso wie die einfache Verfügbarkeit von Energie (in Form von Öl und Verbrennungsmotoren) massgeblich hinter den wirtschaftlichen und technologischen Entwicklungen des 20. Jhdts steht, verschafft die einfache Sammel- und Verarbeitbarkeit von Daten heute entsprechend ausgerichteten Unternehmen einen Wettbewerbsvorteil.

    Dabei spielt es nur eine beschränkte Rolle, ob ein solches Unternehmen jetzt sehr offensichtlich damit umgeht (wie die „klassischen“ Beispiele Google oder Facebook) oder eher im Rahmen seiner normalen Geschäftstätigkeit (wie zB Migros/Coop mit Cumulus bzw. SuperCard). In beiden Varianten hat die gezielte und intelligente Nutzung der gesammelten Rohdaten einen direkten wirtschaftlichen Nutzen für die jeweiligen Unternehmen:
    – Google/FB können Dir diejenigen Ads platzieren welche eine höhere Klickwahrscheinlichkeit haben (und so ihre eigenen Einnahmen durch erhöhte Ads-Trefferquoten steigern)
    – Migros/Coop können Dir massgeschneidetere Angebote machen (oder Dich mit entsprechenden Lockvögeln in den Laden holen) und so Umsatz (und Gewinn) erhöhen

    1. Danke für diesen Kommentar. Mit der Kontextanforderung bin ich sehr einverstanden. Die Enabler-Rolle sehe ich nicht als Vergleich: Auch HR ist die Basis für erfolgreiche Wirtschaftsbetriebe. Oder Marketing. Würden wir sagen: Marketing ist das Erdöl der Dienstleistungsbetriebe?

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