»Lehrpersonen schützen« – zum Social-Media-Leitfaden für Lehrpersonen und Schulleitungen

Wie »10 vor 10« gestern berichtet hat, haben die Lehrerverbände der deutschsprachigen Länder einen gemeinsamen Leitfaden herausgegeben, der Lehrpersonen dabei helfen soll, sich in Social Media zu bewegen. Er kann als pdf runtergeladen werden, die Webseite dazu findet sich hier.

Ich wurde von »10 vor 10« angefragt, hatte aber leider keine Zeit. Meine Meinung – die in meinem Buch ausführlich dargelegt wird – deshalb hier in Kurzfassung. (Medienanfragen bitte unter 078 704 29 29 oder per Mail.)

Es ist zu begrüssen, dass der Unsicherheit von Lehrpersonen im Umgang mit Social Media begegnet wird. Doch wie das geschieht, erscheint mir problematisch.

Symptomatisch: Der Gesichtsausdruck der Lehrerin.
Symptomatisch: Der Gesichtsausdruck der Lehrerin auf der Homepage des Leitfadens.

Die zentrale Haltung ist der »Schutz« von Lehrpersonen. Eine Kommunikationsplattform wird als Bedrohung wahrgenommen, obwohl es zunächst einfach eine Kommunikationsplattform wie das Telefon oder die Briefpost ist.

In den Social Media oder auch Blogs und Foren wird jede noch so «privat» gemeinte Meinung wie in einem Leserbrief öffentlich und damit hoch bedeutsam. (S. 5)

Diese Haltung scheint mir gefährlich: Natürlich gibt es in den sozialen Netzwerken eine Vermischung von privater Person und öffentlicher Funktion. Aber das ändert nichts am Recht von Privatpersonen, ihre Meinung zu äußern, auch wenn sie als öffentliche wahrgenommen wird. Lehrerverbände sollten auf das Recht pochen, dass auch Lehrpersonen außerhalb ihres Anstellungsverhältnisses ein Recht auf eine Meinung haben und die auch im Internet äußern dürfen.

Der Guide ist geprägt von einem naiven Digitalen Dualismus: »Die Wirkung von Fehlern ist deshalb im Vergleich zum normalen Alltag enorm«, heißt es beispielsweise auf S. 11. Social Media sind der »normale Alltag«, sie sind Realität, sie sind Kommunikationsformen wie alle anderen auch.

Nun zu raten, man dürfe nicht mit Schülerinnen oder Schülern »befreundet sein«, wie die Interpretation von »10 vor 10« nahelegt (im Leitfaden selbst steht das nicht), ist, als würde man Lehrpersonen raten, keine Briefe von Schülerinnen oder Schülern zu lesen. Wer ansprechbar sein will und pädagogischen Dialog pflegt, kann und soll das auch mittels Social Media tun.

Die Hinweise des Leitfadens, dass hier Richtlinien der Schule und eine einheitliche Haltung gegenüber allen Eltern und Schülerinnen/Schülern zentral ist, halte ich für wichtig. Generell stehen keine falschen Dinge im Leitfaden – er ist eine sinnvolle Einstiegslektüre für Lehrpersonen und Schulleitungen, die sich ängstigen. Aber er vertritt eine überholte Position der Abwehr. Der Kontrollverlust der Social Media betrifft nicht die Lehrpersonen, die sich exponieren – sondern alle Lehrpersonen, alle Menschen. Zu meinen, man könne verhindern, das Bilder oder Äußerungen den Weg ins Internet finden, ist naiv.

Darüber hinaus behandelt der Leitfaden Facebook – heute sicher noch das wichtigste soziale Netzwerk – zu prominent. Allgemeine Hinweise sind viel wichtiger als die Einengung auf eine Plattform. Die Jugendlichen von heute bewegen sich in anderen Netzwerken und tauschen ihre Dateien dort aus: Der Leitfaden wird in zwei Jahren komplett überholt sein.

Weitere Richtlinien, die meine Sicht erläutern, finden sich auf dieser Seite.

14 Kommentare

  1. andigentsch sagt:

    Gute Kritik an einer sicher nicht falschen Einstiegs-Anleitung. Für viele Lehrpersonen dürfte es in der Tat Sinn machen sich nicht zu befreunden, zumindest nicht solange sie ihre Hausaufgaben nicht selbst erledigt haben und Ihr Profil so führen, dass man auch gegenüber Schülern sichtbar sein darf.

    Der Hinweis auf Gruppen oder Circles (denn Social Media bleibt auch nach Veröffentlichung des Leitfadens nicht nur Facebook) könnte hier ein wichtiger Punkt sein. Man muss nicht alles mit allen teilen, macht man ja beim Mittagstisch auch nicht.

  2. Anonymous sagt:

    mirko fassbind lebt halt von dieser angstmacherei. und diese ist auch viel einfacher zu verbreiten, als lehrpersonen und schülerInnen zu lehren, anwendungen im web 2.0 anzuwenden. genau so, wie es viel einfacher ist, den schülerInnen das smartphone wegzunehmen, als es im unterricht zu verwenden.
    web 2.0 und social media sind viel viel mehr als facebook (längst von instagram abgelöst) und youtube (grösste plattform für hervorragende video tutorials, aber wer weiss das schon, wen interessierts?
    meine telnummern stehen auch in meiner website, meine 250 schülerInnen kennen all meine kontaktmöglichkeiten, haben aber kein problem damit.

  3. Mirko Fassbind sagt:

    Ist es eben nicht. Was im WWW und auf Social Media Plattformen steht, ist anders als ein Telefongespräch oder ein Brief, zunächst ein Mal öffentlich. Dabei gutwillig auf das Recht an eigener Meinung zu pochen, ist naiv. In Zeiten des Reinheitsterrors sowieso. Und es ist gut, dass dazu ein Leitfaden erscheint, weil er die Lehrerinnen und Lehrer vor unbedachten Äusserungen schützt oder ihnen zumindest zeigt, wie sie ihre Meinungen auch ausschliesslich an den Kreis adressieren, für den sie bestimmt ist – Stichwort Medienkompetenz. Dass Medienpädagogen damit geweihräuchert sind oder es sich zumindest einreden, ist mir als Medienpraktiker und -theoretiker bekannt. Das heisst aber noch lange nicht, dass sich Lehrerinnen und Lehrer gleich ängstigen müssen, um sich mit dem Leitfaden auseinander zu setzen. Übrigens zählt zur Medienkompetenz unter anderem, sich zu überlegen, wie es ankommt, wenn man im Blog seine Handynummer für Medienanfragen bekannt gibt… In Zeiten der Datensammler (mir persönlich ist ihre Handynummer wurst) sowieso. Entschuldigungen Sie die deutlichen Worte.

    Der Guide ist geprägt von einem SINNVOLLEN Digitalen Dualismus. Soziale Medien sind nunmal näher am Massenmedium als Gespräche oder eine Mitteilung an eine Gruppe von Leuten.

    Dann sollen Lehrerinnen und Lehrer nun also nach Feierabend via Facebook proaktiv Seelsorger spielen, anstatt das persönliche Gespräch zu suchen. Schöne neue Welt.

    1. Ich schätze deutliche Worte – danke dafür. Gleichwohl bin ich anderer Meinung – nicht nur, was die Handynummer angeht. Mein Ziel ist, erreichbar zu sein. Warum sollte ich meine Handynummer dazu nicht angeben? Ich publiziere meine Handynummer seit Jahren online und wüsste nicht, welches Problem mir das je bereitet hätte.
      Aber zu den wichtigeren Punkten Ihrer Kritik: Mir scheint es wichtig, in einem neuen medialen Umfeld neue Umgangsformen zu etablieren. Hier zu sagen, alles sei öffentlich und also sei Vorsicht geboten, läuft letztlich auf eine Beschränkung raus: Es gibt dann wichtige Kommunikationsformen, in denen man als öffentliche Person (und wer ist das nicht in bestimmter Hinsicht) seine Meinung nicht mehr äußern darf. Das halte ich für problematisch und dagegen wehre ich mich.

      Und ich wehre mich auch gegen Digitalen Dualismus. Auf Facebook finden persönliche Gespräche statt – Mündlichkeit ist dafür kein Erfordernis. Es gibt viele Probleme, bei denen es Schülerinnen und Schülern einfacher fällt, sich am Computer dazu zu äußern, statt – oft vor Publikum – Lehrpersonen in der Schule zu behelligen. Es ist alles eine Frage von Kontext, Situation, Absicht und Erwartungen. Hier braucht es Gefühl – starre Richtlinien helfen nicht weiter.

      1. Mirko Fassbind sagt:

        Angeben im Sinn von protzen ist das eigentliche Stichwort. Und angeben im Sinn von herausgeben kann schon problematisch sein. Wenn man sieht, wie leichtsinnig Leute mit ihren Daten umgehen (Gewinnspiele, …). Datenschutz und Datensicherheit sind wichtige Themenfelder, die auch Medienpädagogen auf dem Radar haben sollten. Ob man die Daten dann bewusst oder unbewusst heraus gibt, ist ein Unterschied. Ich sehe keinen Fehler darin, wenn sich die Medienpädagogik nun mit einem Leitfaden dazu aufmacht, Leute bewusst darauf aufmerksam zu machen. Ich persönlich halte es aber für einen Fehler, wenn Medienpädagogen sich die rosarote Brille aufsetzen und so tun als ob in den Neuen Medien alles Friede Freude Eierkuchen wäre. Ist es nicht. Und nicht jeder, der die Neuen Medien auch kritisch beäugt, ist gleich damit ein Medienverweigerer.

        Ich sage nicht, man solle online nicht seine Meinung kund tun. Das sagt auch der Leitfaden nicht. Er zeigt einfach Bereiche auf, in denen Gefahren lauern können. Mit einer naiven Sicht hat das nichts zu tun, mit Angst wenig, mit Bildung viel.

        Facebook geht die ganze nonverbale Kommunikation ab. Dass dies eine qualitative Einbusse ist, das werden Sie wohl einsehen. Klar, Niederschwelligkeit ist ein Argument. Aber ich sehe nicht ein, weshalb man das über Facebook tun sollte und nicht via E-Mail.
        Handkehrum weiss ich aus eigener Erfahrung wie lästig es ist, wenn Arbeitgeber die Facebook-Freundschaft beantragen. Das hat mit der Freiheit zu tun, auf Facebook seine Meinung kund zu tun.

        Mir scheint es, Sie werfen zu vieles zu wenig durchdacht in einen Topf und kommen mit Denkmuster (starre Regeln) und Schlagwörtern (Digitaler Dualismus). Es ist mir schon aufgefallen, dass es Medienpädagogen gibt, die das Feld gegen Gedanken aus anderen, verwandten Disziplinen lieber verteidigen anstatt es zu beackern. Dagegen wehre ich mich. Abschotten und abtun hat die Menschheit noch nie weiter gebracht.

      2. Wenn Sie auf dieser Seite weiterlesen oder einen Blick in mein Buch werfen, werden Sie sehen, dass ich der letzte wäre, der eine »rosarote Brille« aufsetzt. Aber Bildung heißt eben in meiner Ansicht, ein Phänomen differenziert betrachten. Wer Social Media aus der Perspektive betrachtet, dass problematische Inhalte auf Facebook zu negativen Konsequenzen führen, ist undifferenziert.
        Nun ist Undifferenziertheit gerade ein Vorwurf, den Sie mir gegenüber erheben, wenn ich Sie richtig verstehe. Nachvollziehen kann ich das nicht. Mit »starre Regeln« meine ich Ihren Vorschlag, pädagogische Gespräche auf den mündlichen Austausch zu beschränken. Genau so wie ich nie dazu raten würde, pädagogische Gespräche generell via Social Media zu führen, würde ich auch hier zu einer Vorgehensweise raten, die verschiedene Faktoren berücksichtigt (z.B. wäre ich schon oft froh gewesen, Gesprächsprotokolle einsehen zu können).

      3. Mirko Fassbind sagt:

        Dann verstehe ich nicht, wieso Sie sich so gegen den Leitfaden wettern.
        Es ist also undifferneziert, wenn man vor Russisch Roulett warnt, weil das ja auch glimpflich ausgehen könnte? Eine waghalsige These.

        Wieso sollte man dann dem Haussegen zuliebe als Lehrerin oder Lehrer ganz auf eine Freundschaftsanfrage via Facebook verzichten, wenn es doch andere, mindestens so gute und niederschwellige Mittel und Wege gibt?
        Ich finde es schon dezent rosarot, wie rührseelig Sie den Einsatz von Social Media im Kindergarten loben vor einer Kiste sitzend mit Headset und Augenringen.

        In der Kindheit, das zeigen harte wissenschaftliche Studien, die Sie zwar wohlwollend lesen, um sich dann aber aufzuregen und in irgend ein – Entschuldigung – sch*** Detail „vermeinltich arrogantes Auftreten von Spitzer“ – zu verbeissen, sollten vor allem Primärerfahrungen her, die nicht auf eine zweidimensionale Fläche, viel Text und ein bisschen Soundeffekt zusammengestaucht wurden. So lätz ist die Generation vor unserer ja nicht, die ohne den ganzen Kram gross geworden ist. Ausgemustert oder schlecht informiert sind sie deshalb auch nicht, im Gegenteil. Hinter Bildschirmen können die Kindergärtler dann noch ihr ganzes Berufsleben sitzen oder meinetwegen zu Hause.

        So, ich geh nun an die frische Luft ein bisschen lesen.

      4. Mirko Fassbind sagt:

        Wieso sollte man dann NICHT dem Haussegen zuliebe als Lehrerin oder Lehrer ganz auf eine Freundschaftsanfrage via Facebook verzichten

      5. Welcher Haussegen ist hier gemeint?

  4. Angelo Zehr sagt:

    Gute Einordnung. Danke dafür.
    Noch zum Abschnitt «Aber das ändert nichts am Recht von Privatpersonen, ihre Meinung zu äußern, auch wenn sie als öffentliche wahrgenommen wird. Lehrerverbände sollten auf das Recht pochen, dass auch Lehrpersonen außerhalb ihres Anstellungsverhältnisses ein Recht auf eine Meinung haben und die auch im Internet äußern dürfen.»
    Da geb ich dir völlig Recht. Das betrifft auch dich! Deshalb find ich’s so schade, dass du deinen persönlichen Blog nicht weiterführen möchtest 😉

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