Ello – ein neues soziales Netzwerk mit alten Problemen

Seit gut einem Monat »nutze« ich Ello – ein soziales Netzwerk, das durch zwei Punkte überzeugt: Seine minimalistische Gestaltung und sein Manifest. Darin heißt es beispielsweise:

Your social network is owned by advertisers. Every post you share, every friend you make, and every link you follow is tracked, recorded, and converted into data. Advertisers buy your data so they can show you more ads. You are the product that’s bought and sold. We believe there is a better way. […] You are not a product.

Ello ist ein Grund zur Hoffnung, dass es eine Konkurrenz zu etablierten Plattformen gibt, welche die Stärken von Facebook und Twitter kombiniert, offen ist und Usern eine echte Wahlmöglichkeit bietet, die Nachrichtenflüsse ihrer Kontakte den eigenen Bedürfnissen gemäß darzustellen und zu filtern.

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Nur scheint diese Hoffnung trügerisch. Ello kann seine Versprechen aus zwei Gründen nicht einlösen:

  1. Das Transferproblem.
    Die Energie, die ich meine Twitter- und Facebook-Netzwerke gesteckt habe (zu FB gehört auch WhatsApp und Instagram), ist ein Investment, das sich für mich auszahlt, wenn ich die Plattformen nutze. Diese Investitionen sind verloren, wenn ich zu einem neuen Netzwerk wechsle. Warum sollte ich Inhalte für Ello produzieren, wenn sie weniger wahrgenommen werden als bei Facebook oder Twitter? Dieses Problem könnte theoretisch nur gelöst werden, wenn es analog zu Blogplattformen Wege gäbe, das ganze FB- oder Twitter-Archiv in eine andere Plattform einzuspeisen. Selbst dann wäre das ganze soziale Netzwerk noch nicht migriert: Wer soziale Netzwerke intensiv nutzt, ist »tied in« – ganz ähnlich, wie das bei iTunes passiert.
  2. Das Finanzierungsproblem.
    Aral Balkan ist von Ello enttäuscht, weil das Unternehmen User nicht transparent über seine Finanzierung orientiert. Über einen Mechanismus, der sich »Venture Capital« nennt, erhielten die Betreiber über 400’000 Dollar für die Startphase. Nun funktioniert der Investitionsmarkt so, dass dieses Kapital eine Rendite abwerfen muss. Das gelingt im Web 2.0 nur, wenn ein Kundenstamm angelegt werden kann, der pro Woche zwischen 5 und 7 Prozent wächst (diese Zahlen stammen von Y Combinator, einer Beratungsfirma für Unternehmen, die mit Venture Capital arbeiten – eine alternative Möglichkeit wäre ein Wachstum der Einnahmen, was aber bei einem Unternehmen ohne Werbung und ohne kostenpflichtiges Angebot kaum denkbar ist).
    Nun könnte es sein, dass es ein Modell mit kostenpflichtigen Modulen gibt, das so rentabel ist, dass Ello die Investitionen mit Rendite zurückzahlen kann. Wahrscheinlicher ist aber ein so genannter Exit, ein Ausstiegsszenario, das den Kapitalgebern ihre Rendite verspricht. Dabei wird die Firma entweder in eine profitable Aktiengesellschaft umgewandelt oder verkauft ihren Kundenstamm und ihre Software (z.B. an Facebook oder an Google). Balkan formuliert trocken:

    If a company has taken venture capital, you have already been sold. It’s not a matter of if, it’s simply a matter of when.

    Kurz: Die Finanzierung von Ello straft das Manifest lügen. »You are not a product« ist schlicht falsch, weil es die einzige Möglichkeit ist, wie Ello überhaupt finanziert werden konnte.

Ello lehrt uns erstens, dass es erstens ein Fehler war, andere Plattformen, mit deren Strategien und Funktionsweise nicht einverstanden sind, so stark zu machen. Es ist kaum möglich, eine Alternative bereit zu stellen. Zweitens zeigt Ello, dass nur ein gemeinschaftlich finanziertes Modell einer Plattform die wirtschaftlichen Voraussetzungen erfüllt, damit Kundendaten nicht genutzt und verkauft werden müssen.

(Ello ist im Moment noch in einer Beta-Phase und noch nicht frei nutzbar. Wer eine Einladung möchte, kann mir eine Mail schicken.)