Identität im Internet – und was für und gegen eine E-ID spricht

Die Hunde-Cartoons aus dem New Yorker veranschaulichen ein wesentliches Problem der Netz-Kommunikation: Sie erfolgt zunächst pseudonym. Wer in Foren, per E-Mail oder auf digitalen Plattformen agiert, verwendet dafür ein Profil, das nicht an konkrete Identitätsmarker gebunden ist. Auf die Spitze getrieben hat dieses Prinzip 4Chan, wo es gar nicht möglich war, stabile Profile zu betreiben, weil standardmässig jeder Beitrag «Anonymous» zugeschrieben war. Im unteren Beispiel ist unklar, ob eine der drei Antworten von derselben Person stammt wie der ursprüngliche Post.

Doxing ist entsprechend ein Begriff für den Übergriff geworden, bei dem pseudonyme digitale Profile mit Daten verbunden werden, die Rückschluss über die offline-Identität einer Person zulassen (Doxing bezeichnet zudem auch die Veröffentlichung privater Daten).

Grundsätzlich hat Netz-Kommunikation dazu geführt, dass Identitäten komplexer werden. Diese Komplexität hat verschiedene Bestandteile, es geht nicht nur darum, dass Menschen offline und online unabhängig von den jeweils anderen Identitäten agieren können, sondern sie können auch unterschiedlichen Menschen unterschiedliche Aspekte ihrer Persönlichkeit zeigen. Gleichzeitig findet kontinuierlich Kontext-Kollaps statt, weil Menschen nie sicher sein können, wer jemandem von einer Instagram-Story oder einem Dating-Profil erzählt.

Pseudonyme Profile können über verschiedene Verfahren Status gewinnen und eine Art von Verifikation beanspruchen. Wer viel Reichweite erlangt oder über einen längeren Zeitraum eine bestimmte Form von Content gemacht hat, kann damit eine Stabilität erreichen, sie sich mit der Offline-Realität vergleichen lässt. «MrBeast», «Lisa» oder «PewDiePie» sind trotz Pseudonymen Identitäten, für die es keine Anbindung an offizielle Daten braucht. Dennoch haben bestimmte Plattformen Profile nur dann verifiziert, wenn sie ausweisen, wie die Personen, die sie betreiben, tatsächlich heissen. Das hat auch mit rechtlichen Aspekten zu tun.

Die Digitalisierung von staatlichen und nicht-staatlichen Dienstleistungen hat dazu geführt, dass digitale Plattformen auch für Prozesse verwendet werden, bei denen die offizielle Identität einer Person relevant sind (damit sind Daten gemeint, die der Staat von Bürger:innen erfasst). Wer also z.B. einen Umzug melden oder einen neuen Pass beantragen möchte, muss auf den entsprechenden Plattformen nachweisen können, wer er oder sie im offiziellen Sinne ist. Pseudonyme Profile reichen dazu nicht aus. Dasselbe gilt dann auch für den Abschluss einer Versicherung, für E-Banking oder den Online-Kauf von Produkten oder Dienstleistungen, die nur Volljährigen zugänglich gemacht werden dürfen.

In den letzten Jahren haben staatliche Institutionen und Unternehmen eine Reihe von Verifikationsverfahren eingesetzt: Seien es Codes, die an eine Postadresse verschickt werden, sei es die Nutzung einer Kreditkarte, der Rückgriff auf offizielle E-Mail-Adressen oder die Überprüfung eines Ausweisdokuments mit KI-Verfahren – die Anbindung von digitalen Profilen an offizielle Identitäten wird immer stärker möglich.

Illustration von Wingo

Mehr Verifikation bedeutet jedoch nicht besseren Schutz: Die Vorgaben, Pornografie nicht mehr an Nicht-Volljährige auszuspielen, hat dazu geführt, dass Anbieter wie Pornhub die Geschäftstätigkeiten in Regionen eingestellt haben, die von ihnen verlangt haben, das Alter von User:innen zu überprüfen. Das Problem dabei war, dass die Verifikation des Alters von Pornhub selbst so hätte vorgenommen werden müssen, dass eine Datenbank von Porno-Konsumierenden entstanden wäre. Die damit verbundenen Datenschutzprobleme sind so gross, dass das Unternehmen die Geschäftstätigkeit lieber eingestellt hat, statt die Verifikation des Alters wie gefordert vorzunehmen.

Zusammengefasst: Die Abfrage von Daten durch Unternehmen führt dazu, dass zu viele Daten durch Unternehmen gespeichert werden. Insbesondere die dadurch entstehende Verknüpfung von Daten führt zu problematischen User-Profilen, die dann möglicherweise verkauft, anders genutzt oder gehackt werden können. Unternehmen legen uneinheitliche Datenbanken mit persönlichen Informationen an, die sie nicht hinreichend schützen können.

Das ist der Grund, weshalb Staaten nach Lösungen suchen. In der Schweiz wird in Kürze über die E-ID abgestimmt. Einem lesenswerten Beitrag der Republik lässt sich entnehmen, weshalb eine E-ID Vorteile gegenüber der aktuellen Situation bieten könnte:

Die E-ID würde sogar mehr Freiheit und Anonymität bedeuten. Denn damit gibt es ein technisches Mittel, mit dem man seine Volljährigkeit beweisen kann, ohne die vollständigen persönlichen Passdaten preisgeben zu müssenEs genügt der krypto­grafisch gesicherte Beweis, dass die bestellende Person älter als 18 ist – verifiziert durch den Schweizer Staat. Wer die Person ist und welche Staats­bürgerschaft sie hat, braucht ein Anbieter hingegen nicht zu wissen.

Diesen Vorzügen stehen gewichtige Nachteile gegenüber, die mit vielen juristischen und technischen Feinheiten zusammenhängen – kurz gesagt geht es darum, dass nur schwer verhindert werden kann, dass Unternehmen über die E-ID zu viele Daten abfragen und diese missbräuchlich verwenden. Damit würde die wesentliche Freiheit der digitalen Kommunikation, nämlich unter Pseudonym Profile aufbauen zu können und selber bestimmen zu können, wie stark oder lose diese mit der offiziellen Identität verknüpft werden, bedroht. Nicht nur autoritäre Staaten könnten die Überwachung von Menschen im Internet auf eine bedrohliche Art und Weise ausbauen.

Viele ehemalige Gegner:innen der E-ID befürworten sie heute: Weil sie die unübersichtlichen, oft problematischen Verfahren von Unternehmen durch einen sicheren, staatlich gesicherten Prozess ersetzen, der datensparsam angelegt ist (das schlagende Beispiel dafür ist die Abfrage der Volljährigkeit, bei der Unternehmen nichts anderes über eine Person erfahren, als dass sie (nicht) alt genug ist).

Gegen die E-ID sprechen die Unsicherheiten bei der Umsetzung, wie Adrienne Fichter festgehalten hat: Was passiert bei Missbräuchen, bei technischen Problemen, bei problematischen Entwicklungen?

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