Warum ein Handyverbot an Schulen keine gute Idee ist – 10 Argumente

Aktuell wird intensiv über ein Smartphone-Verbot diskutiert. In den letzten Wochen habe ich mehrere Diskussionen geführt und fasse hier die wesentlichen Argumente gegen ein Smartphone-Verbot an Schulen zusammen. Wichtig ist vorweg ein Aspekt, der gern vergessen wird: Schulen regeln heute die Nutzung von Smartphones. Die Forderung nach einem Verbot geht darüber hinaus, sie sieht eine staatlich geregelte, einheitliche Einschränkung der Smartphone-Nutzung vor – nicht schulische Regeln.

Podiumsdiskussion zu Smartphone-Verboten mit Nathalie Meyer und Lukas Leuzinger (Bildquelle)
  1. Schulen sollen die Nutzung von Handy so regeln, wie das zu ihrer Schulkultur passt. Alle Schulen regeln den Umgang mit Smartphones und limitieren die Nutzung meist streng. Staatliche Vorschriften helfen Schulen nicht, sinnvolle Lösungen zu finden, sondern erschweren das. Sie verhindern pragmatische Kompromisse, an Lernsituationen angepasste Lösungen – sie ziehen ungleiche Schulen über den gleichen Leisten.
  2. Die aktuelle Diskussion über Smartphone-Verbote resultiert aus einer moralischen Panik, die das aktuelle Buch von Jonathan Haidt verstärkt verbreitet hat. Wie jede andere moralische Panik geht es um
    a) eine massiv übertriebene Angst,
    b) die sich primär auf junge Menschen bezieht und
    c) aus einer verzerrten Interpretation der vorhandenen Daten beruht,
    d) weil Erwachsene mit einer Entwicklung überfordert sind.
    Smartphones, so die Befürchtung, gefährden die psychische Gesundheit junger Menschen, zersetzen ihre gesellschaftliche Einbindung und verhindern eine gesunde Entwicklung. Paradoxerweise denken Erwachsene, junge Erwachsene und Jugendliche alle, dass sie selber mit Smartphones gerade noch so zurecht gekommen seien, aber die Jüngeren hätten damit ein Problem, das sich nur durch ein Verbot lösen lasse.
    Konkrete politische Massnahmen sollten nicht mit den Sichtweisen der moralischen Panik ergriffen werden, sondern unter Bedingungen, in denen sachliche, rationale Entscheidungen möglich sind. Bildschirmzeit ist moralisch so aufgeladen, dass viele Menschen kaum zugänglich für das Argument sind, dass allein die Nutzung eines Bildschirms nichts über die kulturelle Erfahrung aussagt.
  3. Wozu sollten Smartphones an Schulen verboten werden? Diese Frage ist abgründiger, als viele denken. Erstens könnte man sagen, es gehe um den Schutz von Kindern und Jugendlichen. Wäre das so, dann müssten viele Massnahmen auf Freiwilligkeit beruhen bzw. nur so weit gehen, wie es für diesen Schutz wirklich nötig ist. Das lässt sich jedoch in der aktuellen moralischen Panik kaum noch abschätzen. Zweitens geht es um die Beruhigung von Erwachsenen: Wenn Jugendliche weniger am Smartphones sind, können sie damit weniger Dinge machen, die Erwachsene nicht verstehen. Drittens geht es darum, ein Unterrichtsmodell zu schützen, das durch Smartphones problematisch wird: Ruhig zu sitzen, zuzuhören und mitzuschreiben fühlt sich sinnlos an, wenn Kulturzugangsgeräte in jeder Hosentasche sind. Was Lehrpersonen oft als Ablenkung beschreiben, ist jedoch oft nur mündiges Wissensmanagement. Das zu verbieten ist pädagogisch verantwortungslos.
  4. Ein Verbot nützt nur etwas, wenn es umgesetzt und seine Einhaltung überwacht wird. Lehrpersonen, die pubertierende Jugendliche unterrichten, müssten mit einem Verbot, das mehrere absolute Grundbedürfnisse von Jugendlichen betrifft (insbesondere Vernetzung mit Peers), unverhältnismässig viel Aufwand in die Rolle der Polizist:innen stecken. Dieser Aufwand beeinträchtigt die Ressourcen für die wirksame Begleitung der Schüler:innen. Ein Smartphone-Verbot an Schulen hat einen Preis, den die Jugendlichen zahlen werden. Oder anders gesagt: Verbote erfordern Sanktionen, Sanktionen erzeugen Konflikte.
  5. Lernen erfolgt multimedial. Der Zugriff auf digitale Plattformen und Verfahren ist oft lernförderlich und eine sinnvolle Praxis im Umgang mit bestimmten Aufgaben und Problemen. Menschen tragen Handys nicht primär deshalb immer mit sich rum, weil sie sich damit ablenken und unterhalten lassen – sie brauchen sie für sinnvolle Dinge. Das sollten Schüler:innen auch in der Schule tun können. Nicht permanent, aber dann, wenn es sich anbietet. Das zu verbieten, macht Schule noch stärker zu einem künstlichen Raum, der sich für Kinder und Jugendliche hinsichtlich ihrer Zukunft als nicht relevant anfühlt.
  6. Schulische Smartphone-Regeln, wie sie heute bereits existieren, werden in Absprache mit Eltern und Schüler:innen getroffen. Sie beinhalten oft clevere Möglichkeiten, Freiwilligkeit und Mitwirkung einzubeziehen, sie können Teil einer demokratischen Schulkultur sein. «Wann und wie nutzen wir Handys in der Schule?» – das ist eine Frage, die mit Schüler:innen und ihren Eltern diskutiert werden sollte. Sie über ein Verbot zu beantworten, schwächt diese Kultur und vermittelt Lehrpersonen und Schüler:innen primär eine Botschaft: Was wichtig ist, sollen sie nicht aushandeln, sondern sich von der Politik vorschreiben lassen.
  7. Die primäre Entwicklungsaufgabe von Jugendlichen besteht in der Selbstregulierung. In Bezug auf das Smartphone bedeutet das ein selbstgesteuerter Verzicht auf die Nutzung in bestimmten und eine bewusste, gezielte Nutzung in anderen Situationen. Ein Verbot bedeutet, dass der Staat Jugendlichen nicht zutraut, diesen Entwicklungsschritt zu meistern, es suggeriert, Menschen könnten sich in Bezug auf Bildschirmmedien nicht selbst regulieren. Das ist eine ähnliche Situation wie bei Drogen, wo klar ist, dass es Gruppen von Menschen gibt, die sich mit Drogen schadet – und ein allgemeines Verbot dennoch anderen Menschen die Freiheit nimmt, Nutzen und Gefahr von Drogen selbstverantwortet abzuwägen. Gerade auch Phasen, in denen die Handynutzung jungen Menschen nicht gut tut, sind für sie mit wichtigen Lernschritten verbunden.
  8. Ein Handyverbot ist auch deshalb sinnfrei, weil Schüler:innen digitale Geräte im Unterricht nutzen. Ihnen schulische Geräte zu geben und die Nutzung anderer Geräte zu verbieten, führt zu einer paradoxen Situation. Befürworter:innen eines Verbots weisen darauf hin, dass schulische Geräte auf eine schulische Nutzung eingeschränkt werden, was bei Handys nicht möglich ist. Ein pädagogisch sinnvoller Einsatz von Tablets oder Laptops ermöglicht aber den Zugang zu einem Web-Browser – und dieser wiederum den Zugang zu allen Applikationen, die auf einem Smartphone verfügbar sind. Wer Handys verbieten will, muss digitale Medien generell aus Schulen verbannen.
  9. Menschen tendieren dazu, anderen das zu verbieten, was sie selber nicht tun. Wer für ein Verbot von Cannabis ist, würde Alkohol nie verbieten. Wer gegen laute Konzerte in der Stadt ist, hat kein Problem, in einem Gartenrestaurant bis spät in die Nacht laut zu diskutieren. Genauso möchten viele Menschen Jugendlichen die Handynutzung verbieten, würden sich aber nie vorschreiben lassen, wie sie das Smartphone am Arbeitsplatz verwenden dürfen. Wenn Smartphone-Verbote richtig sind, dann sollten sie überall gelten: In Krankenhäusern, in Parlamenten, in Verwaltungen und Unternehmen. Die Vorstellung, Jugendliche würden ganz anders und viel verkehrter mit Smartphones umgehen als Erwachsene, ist zutiefst adultistisch und problematisch.
  10. Politisch ist es extrem einfach, Schulen Verbote zu diktieren, besonders, wenn sie Jugendliche betreffen. Diese haben kaum eine Lobby, keine Mittel, ihre Interessen durchzusetzen. Das Smartphone-Verbot ist ein Ersatz für ein wirksames Mittel gegen die Probleme im Netz: Eine harte gesetzliche Kante gegen die Digitalunternehmen, die mit der Mediennutzung von Jugendlichen Geld verdienen. Ein sinnvolles Gesetz wäre ein Verbot digitaler Werbung für Unter-18-Jährige. Ein sinnvolles Gesetz wäre auch, dass jedes Unternehmen, das im Netz Geld verdient, in der Schweiz ansässige Ansprechpersonen für Jugendschutz anstellen muss, die Content innerhalb von 2 Stunden aus dem Netz nehmen können, wenn Behörden das anordnen. Ich könnte die Liste verlängern – rauskommen würden immer griffige Massnahmen, deren Preis nicht Jugendliche, sondern Digitalkonzerne zahlen müssen. Politisch sind diese Vorschläge unbeliebt, weil niemand hippe Unternehmen vergraulen möchte. Stattdessen wird reguliert, was in der Schule passiert.

Wir werden bald in allen Schulzimmern diese Handytresore stehen haben. Ein sinnvoller Umgang damit wäre: Sie sind ein Angebot für Lernende und Lehrende, die ihr Handy gern an einem sicheren Ort deponieren werden. Kein sinnvoller Umgang: Ein Zwang, Smartphones dort einschliessen zu müssen.

16 Kommentare

  1. Avatar von Unbekannt Anonymous sagt:

    Dih 🥀

  2. Ich lasse immer mein Handy zuhause

  3. Avatar von Unbekannt Anonymous sagt:

    test

  4. Avatar von Unbekannt Anonymous sagt:

    Das

    Handy hat keinen Mehrwert

    in der Schule.

  5. Avatar von mebîmabo mebîmabo sagt:

    Würden man Ü45 ein Verbot bei der Teilnahme an Fussball-Grümpelis aufbrummen, gäbs ein Riesengejammer. Müsste Ü65 alle zwei Jahre die Autoprüfung nochmals machen, gäbs Zeter und Mordio. Dabei wäre das wahrscheinlich deutlich wirksamer um die Gesellschaft risikoärmer zu machen!

    1. Avatar von Unbekannt Anonymous sagt:

      „Konkrete politische Massnahmen sollten nicht mit den Sichtweisen der moralischen Panik ergriffen werden, sondern unter Bedingungen, in denen sachliche, rationale Entscheidungen möglich sind.“

      wäre schön, wenn dies auch für andere Moralpaniken, wie die angebliche Lohnungleichheit zwischen Mann & Frau , gälte

  6. Avatar von Unbekannt Anonymous sagt:

    Danke.

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